§ 59. Reichsfinanzwesen. Begriff und Geschichte. 446
zum großen Teil auch jetzt noch die Grundlage der Finanzwirt-
schaft des Reichs dar. Allein 1913 schloß sich daran ein Gesetz-
gebungswerk, das nicht nur durch die Höhe der von ihm bereit-
gestellten Mittel, sondern auch durch die Eigenart der dazu einge-
schlagenen Wege wie durch die von ihm ausgelösten finanzwirt-
schaftlichen und staatsrechtlichen Fragen zu den bedeutungsvollsten
gehört, die je vo##m Reichstag erledigt worden sind.
Die 1912 beschlossene Heeres= und Flottenverstärkung (S.
294, 300) sollte zum Teil durch Beseitigung des Branntweinkontin-
gents, der sog. Liebesgabe (S. 466), ermöglicht werden. Außerdem
aber bestimmte das REG. vom 14. Juni 1912 über die Deckung
der Kosten der Verstärkung von Heer und Flotte (lex Basser-
mann-Erz berger), daß die im Finanzgesetze von 1909 vor-
gesehene Ermäßigung der Zuckersteuer 6 Monate nach der Ein-
führung eines Gesetzes über eine allgemeine, den verschiedenen
Besitzformen gerecht werdende „Besitzsteuer“ in Kraft trete und der
Gesetzentwurf dem Reichstage bis zum 30. April 1913 vorzulegen
sei. Schon im folgenden Jahre erschien angesichts der politischen
Verhältnisse eine neuerliche, weit erheblichere Verstärkung der
Wehrmacht unumgänglich nötig, und es ergingen, während ein
Gesetzentwurf über das Erbrecht des Staats nicht erledigt wurde,
unter dem 3. Juli 1913:
a. das Gesetz über einen einmaligen außerordentlichen
Wehrbeitrag (ddessen Grundgedanke nach einer Jußerung
des Reichskanzlers von dem Staatssekretär Kühn, nach anderen
von dem sozialdemokratischen Abgeordneten David herrührt),
8. das Besitzsteuergesetz,
J. das Gesetz wegen Anderung des Reichsstempel-
gesetzes (Gesellschafts= und Versicherungsstempel),
d. das Gesetz über Ahnderungen im Finanzwesen
(namentlich Fortfall der Erhebung bes Reichsanteils aus dem
Zuwachssteuergesetz und — mit Ablauf des 31. Dezember 1916
— Fortfall des Scheck= und Quittungsstempels; Aufhebung der
geplanten Ermäßigung der Zuckersteuer und der lex Bassermann-
Erzberger; Erhöhung der Erbschaftssteuer und des Reichsanteils;
„silberner“ und „goldener“ Kriegsschatz, S. 4q9.
Bemerkenswert ist vor allem, daß man bei dieser neuen
Reform den Weg der Anleihe vermied und — im Gegensatze
zu der die breiten Massen des Volks durch die Verbrauchssteuern
stark belastenden Gesetzgebung von 1909 — vorzugsweise die
besitzenden Klassen heranzuziehen bemüht war. Sodann aber
bedeuten der Wehrbeitrag und die Vermögenszuwachssteuer den
Übergang zu direkten Steuern, die, wenn auch richtiger Ansicht
nach nach der NV. nicht unzulässig, bisher tatsächlich doch als
eine den Bundesstaaten zu belassende Einnahmequelle betrachtet
wurden; der schon durch die Tantiemen= und die Erbschaftssteuer
vorbereitete Bruch mit dieser Praxis ist freilich dadur gemildert,
daß Vermögen und Einkommen in Formen getroffen werden, die
bislang die Einzelstaaten nicht angewandt hatten.