Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

§ 68. Preußen als konstitutionelle Monarchie. 517 
allgemeinen, gleichen, geheimen, aber indirekten Wahlrechts be- 
ruhte, eine Nationalversammlung Zzur Vereinbarung der 
Preußischen Verfassung“ nach Berlin berufen. Da die Beratun- 
gen des von der Kommission zur „Charte Waldeck“ (S. 262) 
umgearbeiteten Regierungsentwurfs nicht den von der Krone 
gewünschten Fortgang hatten, wurde die Nationalversammlung 
am 9. November 1848 nach Brandenburg a. H. verlegt (Minister- 
präsident Graf Brandenburg, sog. „Ministerium der rettenden 
Tat“). Die Mehrzahl der Abgeordneten tagte jedoch in Berlin 
weiter (Rumpfparlament); die Sitzungen im Schauspiel- 
hause wurden aber durch Militär (Wrangel) gesprengt. Am 
5. Dezember 1848 wurde die meist nicht beschlußfähige National- 
versammlung in Brandenburg a. H. ausgelöst und gleichzeitig 
die sog. Oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848 
erlassen, deren Revision vorbehalten wurde. Das Ergebnis der 
letzteren ist, nachdem die II. Kammer nochmals aufgelöst und auf 
Grund der noch jetzt geltenden KglV. vom 30. Mai 1849 (Drei- 
klassenwahlrecht!) neu gewählt worden war, die heute gültige 
„Verfasfungsurkunde für den Preußischen Staat 
vom 31. Januar 1850“ („Pr Vu.“). 
„Oktroyiert“" nennt man die Verfassung, weil sie nicht 
mit der Nationalversammlung vereinbart war; es ist aber zu 
beachten, daß z. Z. ihres Erlasses der König noch immer der 
absolute Gesetzgeber war. . 
8 68. III. Preußen als konstitutionelle Monarchie. 
a. Allgemeine Entwickelung. 
Die Pr Vl. wurde in der Folgezeit vielfach geändert, 
z. Tm, im Sinne der Reaktion, so durch das PrG. vom 21. Mai 
1852, das die Art. 94, 95 (Geschworenengericht) bezüglich der 
Zuständigkeit für politische und Preßdelikte einschränkte, und 
das Pr G. vom 30. Mai 1855, das die Benennungen „Herren- 
haus“ und „Haus der Abgeordneten“ für die I. und die II. Kammer 
einführte. üÜber die einzelnen Anderungen vgl. S. 522. Der 1910 
unternommene Versuch einer Wahlrechtsreform scheiterte (val. 
S. 574). Am einschneidendsten war die Annahme der Verfassung 
des Norddeutschen Bundes (vgl. oben S. 196). Ihr war ein 
schwerer Verfassungskonflikt vorausgegangen. Zwar 
hatte mit dem Antritte der Regentschaft durch den Prinzen von 
Preußen, den späteren König Wilhelm I., das im ganzen gemäßigt 
liberale Ministerium Hohenzollern-Auerswald die Führung der 
Geschäfte übernommen (1858—1862, „neue Kra“). Nun hatte 
jedoch die gelegentlich des Krieges Österreichs gegen Frankreich und 
Sardinien 1859 vorgenommene Mobilmachung des preußischen 
Heeres dessen Neuordnung als unaufschiebbar erwiesen. 1860 
wurde daher dem Landtag ein von dem Prinzregenten und dem 
damaligen Kriegsminister von Roon ausgearbeiteter Plan einer 
Heeresreorganisation vorgelegt, der auf der allgemeinen Behr- 
pflicht, der dreijährigen Dienstzeit und der Erhöhung der Frie-
	        
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