Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

8 68. Preußen als konstitutionelle Monarchie. 519 
der Indemnität nachsuchte, d. h. „Enthebung von der Ver- 
antwortung dafür, daß der Staatshaushalt ohne gesetzliche Fest- 
stellung eines Etats geführt worden“ war (vgl. S. 476). Die Indem- 
nitätsvorlage wurde im September 1866 angenommen, wobei 
sich die versöhnlichen Mitglieder der Fortschrittspartei (Forcken- 
beck, Lasker, Twesten) aus dieser noch immer unversäöhnlichen 
Partei absonderten, um alsbald die neue Fraktion der nationalen 
Partei, die Vorläuferin der „Nationalliberalen Partei“ des Nord- 
deutschen Reichstags, zu gründen (8S. 262). 
b. Die Verwaltungs= und Finanzreform 
wurde erst nach dem deutsch-französischen Kriege in um- 
fassender Weise wieder aufgenommen. « 
Eingreifende finanzielle Neuerungen (Aufhebung der Binnen- 
zölle, S. 401, neue Klassen-, Gewerbe-, Verbrauchs-, Stempel- 
steuergesetze) hatten zuletzt die Gesetze von 1818—1822, das Gesetz 
über die Klassen= und klassifizierte Einkommensteuer von 1851 
und die Grundsteuerreform von 1861 gebracht. Die Befreiung des 
Grundbesitzes war durch die Gemeinheitsteilun gsord- 
nung von 1821 und die Ablösungsgesetzgebung von 
1850, die Gewerbefreiheit durch die Gewer beordnung von 
1845 weiter gefördert worden. Die Verordnung vom 2. Januar 
1849 „über die Aufhe bung der Privatgerichtsbar- 
keit und des eximierten Gerichtsstandes, sowie über die ander- 
weite Organisation der Gerichte“ hatte über 6000 Patrimonial= 
gerichte beseitigt, die Verordnung vom 3. Januar 1849 „über die 
Einführung desmündlichen und öffentlichen Ver- 
fahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen“ das Straf- 
verfahren reformiert (beide Verordnungen waren oktroyiert). Da- 
gegen gelangten die Gemeindeordnung und die Kreis-, Bezirks- 
und Provinzialordnung vom 11. März 1850 nicht zur Durch- 
führung; vielmehr blieb von dieser Gesetzgebung nur das noch 
heute gültige Polizeiverwaltungsgesetz vom 11. März 
1850 übrig, und im Osten lebte die guteberoliche patrimoniale 
Polizeigewalt nochmals auf. Man beschränkte sich 1853—1856 
auf den Erlaß der noch jetzt in Kraft stehenden (S. 616) Städte- 
ordnungen für die östlichen Provinzen, Westfalen und die 
Rheinprovinz sowie die Ergänzung bzw. Neuredaktion der Land- 
gemeindeordnungen von 1841 und 1845 für die beiden letztge- 
nannten Provinzen und das Gesetz vom 14. April 1856, betr. 
die Landgemeindeverfassungen in den sechs östlichen 
Provinzen, das immer noch die patrimoniale Verwaltung des 
flachen Landes zur Voraussetzung hatte. Hier griff erst die 
Kreisordnung für die östlichen Provinzen von 1872 ein, die 
außerdem die Kreisvertretung zweckmäßiger und gerechter orga- 
nisierte und die Selbstverwaltung betonte. Im Jahre 1875 
ergingen die Provinzialordnung für dieselben Provinzen 
und das Gesetz über die Verwaltungsgerichte und das Verwal- 
tungsstreitverfahren, 1876 und 1880 die älteren Gesetze über die 
Zuständigkeit und über die Organisation der allgemeinen Landes- 
verwaltung. Das folgende Jahrzehnt war verschiedenen Novellen
	        
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