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Geltung überhaupt absprechen. So leitet Fleiner aus den die
Freiheit und das Eigentum sichernden Verfassungsbestimmungen
(3z. B. Pr Vu. Art. 5) den vom Gesetzgeber gewollten Rechts-
grundsatz „der pflichtenfreien Sphäre“ des Untertanen ab; eine
von der Verwaltungsbehörde oder von den Untertanen betätigte
abweichende Übung stelle sich daher als Gesetzesverletzung, nicht
als „gesetzmäßige Verwaltung“ (S. 164) dar. Er gewährt- viel-
mehr dem Gewohnheitsrechte zur Ergänzung des geschriebenen
Rechts ausnahmsweise nur da eine Stätte, wo mangels gesetz-
licher Regelung eine rechtliche Ordnung unabweisbar ist. Die
herrschende Lehre und die Praxis sind anderer Ansicht: Die
Observanz, d. h. das in einem begrenzten Kreis ausgebil-
dete Gewohnheitsrecht, spielt ohne Rücksicht auf die soeben an-ä
gegebene Beschränkung im öffentlichen Recht eine große Rolle.
Zahlreich sind die Entscheidungen, die sich mit der observanz-
mäßigen Abwälzung der Straßenreinigungspflicht von der an sich
verpflichteten Gemeinde auf die Anlieger befassen (vgl. Re#.
52 423; 76 113). Mitunter regeln die Sondergesetze auch die
Zulässigkeit einschlägiger Observanzen: Das PrG. über die Reini-
gung öffentlicher Wege vom 1. Juli 1912 erhält bestehende Ob-
servanzen aufrecht und schließt neue contra legem aus (8 3);
vgl. ferner Pr WasserG## vom 7. April 1913 8§ 113 I. — Über
die Autonomie der Gemeinden und weiteren Kommnunnalverbände
s. S. 143, 586.
I. Das Staatsgebiet und seine Bewohner.
8 70. Das Staatsgebiet.“)
a. Umfang des Staatsgebiets.
Art. 1 der Pr#lI. bestimmt: „Alle Landesteile der
Monarchie in ihrem gegenwärtigen Umfange bilden das
preußische Staatsgebiet“. Hieraus ergibt sich, daß sämt-
liche Landesteile des preußischen Staates eine geschlossene
Einheit bilden: es gibt keine „preußischen Staaten“
mehr, sondern nur einen preußischen Staat.
Altere Gesetze sprechen von den „preußischen Staaten“,
so insbesondere das ALR. vom 5. Februar 1794 („Allgemeines
Landrecht für die preußischen Staaten"), aber auch z. B. noch
das „Allgemeine Berggesetz für die preußischen Staaten“ vom
24. Juni 1865. Ebenso lautete der Titel der Pr bis zum
31. Dezember 1906 noch: „Gesetzsammlung für die Königlichen
Preußischen Staaten“ (geändert durch Allerh. Erlaß vom 24. No-
vember 1906 in: „Preußische Gesetzsammlung“"). Diese Sprech-
weise führt darauf zurück, daß dem Kerne der Preußischen
*) Brecher, Darstellung der territorialen Entwicklung des
Brandenburgisch-Preußischen Staates von 1415 bis jetzt (18. A.).