Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

540 § 72. Die Freiheitsrechte. 
tärs zur Festnahme von Zivilpersonen vgl. S. 299. Die Zulässig- 
keit der Freiheitsbeschränkung kann aber auch aus den all- 
gemeinen gesetzlichen Befugnissen der Behörden hervorgehn, z. B. 
aus ALR. II, 17, 10 (S. 661) i. V. mit LVG. 8 132, der die 
Behörde ermächtigt, die in Ausübung der öffentlichen Gewalt 
getroffenen, durch ihre gesetzlichen Befugnisse gerechtfertigten 
Anordnungen durch bestimmte Zwangsmittel, u. a. durch An- 
drohung von Geldstrafen und äußerstenfalls durch unmittelbaren 
Zwang, durchzusetzen. Hiernach kann die Polizei im Notfalle 
den Vater einsperren, der die Impfung seines Kindes hindern 
will, dem Raucher, der an verbotener Stelle raucht, die Zigarre 
aus dem Munde nehmen, die Trennung eines ärgerniserregen- 
den Konkubinats erzwingen, die Zwangsgestellung (Sistierung) 
eines, trotz Vorladung zur Auskunftserteilung, Ausgebliebenen 
vornehmen (der Zeugniszwang in Strassachen ist jedoch 
Vorbehalt des Richters, St.pO. 8 69) usw. Aus den an- 
geführten Vorschriften wird ferner die Zulässigkeit der kriminal- 
polizeilichen Maßnahmen des „Erkennungsdienstes“ zur Fest- 
stellung der Persönlichkeit von Verbrechern oder Verdächtigen 
abgeleitet, also namentlich die Körpermessung nach dem von 
Bertillon begründeten Verfahren (Bertillonage; Meßzen- 
trale für das Deutsche Reich ist der Erkennungsdienst des 
Berliner Polizeipräsidiums), die daneben angewendete, von Galton 
nutzbar gemachte Daktyloskopie (Feststellung der Identität 
aus dem Fingerabdruck, eine von manchen ausländischen Ver- 
waltungen nur noch allein angewandte Methode) und die photo- 
graphische Aufnahme namentlich gewerbsmäßiger Verbrecher für 
das Verbrecheralbum; 8§ 24 des KunstschutzG. vom 9. Ja- 
nuar 1907 deckt dagegen nicht die Herstellung, sondern nur die 
Vervielfältigung, Verbreitung und Zurschaustellung von Bild- 
nissen für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicher- 
heit. Aber auch auf andern als polizeilichen Gebieten sind Be- 
schränkungen der persönlichen Freiheit in weitem Umfange gesetz- 
lich vorgesehen. So kann die Gemeinde die Naturaldienste ihrer 
Angehörigen nach KommAbgG. 8§ 68, für die Einrichtung von 
Pflichtfeuerwehren auch ohne dessen Beschränkungen in 
Anspruch nehmen (vgl. PrG. vom 21. Dezember 1904, nach 
welchem Polizeiverordnungen über die Verpflichtung der Ein- 
wohner zur persönlichen Hilfeleistung bei Bränden erlassen wer- 
den können, soweit das Feuerlöschwesen nicht durch Ortsstatut 
geregelt ist), und der Unterrichtszwang erscheint be- 
kanntlich schon manchem jugendlichen Staatsbürger als eine 
merkliche Beschränkung seiner persönlichen Freiheit, aber auch 
hier heißt es: dura lex, sed ita lex (ALR. II, 12, 43). Nach 
St PO. § 116 II, V ist ferner die zwangsweise Ernährung eines 
Untersuchungsgefangenen statthaft. 
CT. Anwendungsfälle des Freiheitsprin- 
zips. 
Die soeben erörterten Beispiele entfernen sich inhalt-
	        
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