52 8 8. Der Zweck des Staates.
8 8. Der Zweck des Staates (Theorien über den Staats-
zweck; Staatsteleologie).
a. Uebersicht.
1. In § 6 ist Wesen und Natur, in § 7 die Rechtfer-
tigung des Staates erörtert worden. Hier handelt es
sich nunmehr noch um die Frage, welche Zwecke der
Staat zu verfolgen und welche Aufgaben er
zu erfüllen hat. Die Beantwortung dieser Frage
ist von noch weit größerer praktischer Bedeutung als die
der Fragen nach Wesen und Rechtfertigung des Staates.
Durch die Ziele, die der Staat zu erreichen bestrebt ist
(oder denen er nach den Wünschen und Willen des Volkes
zustreben soll), wird die Politik, Verfassung, Organisation
und Betätigung des Staates in weitgehendem Maße
beeinflußt. Dies läßt die geschichtliche Entwicklung (S. 57)
deutlich erkennen.
Im Eingang zur N. sind z. B. die Zwecke bezeichnet,
zu deren Erreichung das Deutsche Reich gegründet ist: „schließen
einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebiets
und des innerhalb desselben gültigen Rechts, sowie
zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes“.
Die Feststellung der Staatszwecke, die sog. Staats-
teleologie, bildet daher einen Gegenstand eingehender
Erörterungen, solange man sich überhaupt mit dem
Staatsphänomen wissenschaftlich zu beschäftigen unter-
nommen hat.
In neuerer Zeit ist allerdings die Erörterung des Staats-
zwecks als gänzlich bedeutungslos bezeichnet worden. Die An-
hänger der sog. materialistischen Welt-- und Ge-
schichtsauffassung gehen von der Anschauung aus, daß
alle Geschehnisse sich nach unwandelbaren, dem menschlichen
Einfluß entrückten Naturgesetzen abwickeln, halten also eine
Lenkung der Staatsentwicklung nach bestimmten Zielen für aus-
sichtslos. Manche Organologen (S. 38) lehnen die Behandlung
des Staatszwecks ab, weil jeder Organismus, wie der Staat,
seinen Zweck in sich trägt, ein Verfolgen von Zwecken, die über
sein eigenes Dasein hinausgehen, also undenkbar ist; die sog.
KLen des Staates seien nur Betätigungen (Funktionen) seines
aseins.
Beide Anschauungen kranken an dem Fehler einer Nicht-
berücksichtigung des durch die Geschichte bezeugten Einflusses
freier menschlicher Handlungen auf die Staatsentwicklung.
2. Bei der Frage nach dem Zweck des Staates kann
man unterscheiden: