Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

58 8 9. Entstehung und Untergang der Staaten. 
dies zur Erfüllung der durch den einzelnen, die Familie 
oder den Geschlechtsverband nicht erfüllbaren Zwecke er- 
forderlich ist. Daher z. B. die Blutrache als normale 
Form der Verbrechenssühne. 
3. Im Mittelalter übernahm die Kirche einen 
großen Teil der staatlichen Zwecke, insbesondere alle kul- 
turellen Aufgaben. Dem Staate verblieb, vielfach auch 
hierin beengt durch die Uebermacht der Kirche, der Rechts- 
schutz und die Sicherung des äußeren Bestandes. Eine 
weitere Schwächung erlitt die Staatsgewalt mit der Ent- 
stehung starker ständischer Gewalten innerhalb des Staates 
(Uebergang der Rechtspflege auf Städte und Riitter, 
S. 84 ff.). Erst die innerhalb des alten Deutschen Reiches. 
entstandenen Landeshoheiten fassen allmählich die zersplit- 
terten Staatskräfte wieder mit starker Hand zusammen; 
die Stände verlieren in jahrhundertelangen Kämpfen die 
Ausübung aller Staatshoheitsrechte (Rechtspflege, Steuer- 
hoheit). Der absolutistische Staat des achtzehnten Jahr- 
hunderts hat alle Funktionen der Staatsgewalt wieder in 
seiner Hand vereinigt. Er ordnet (Polizeistaat, S. 
54) alles selbst und zieht nicht nur alle Seiten des 
öffentlichen Lebens in den Kreis seiner Anordnungen, 
sondern greift auch in alle Zweige der privaten Tätigkeit 
ein unter dem Schlagwort der Hebung der Wohlfahrt der 
Untertanen, deren beschränkter Verstand die Wege zur 
wahren Glückseligkeit zu finden nicht imstande sei. 
4. Die neuere Zeit (Kant, Fichte, Wilhelm 
v. Humboldt) hat in Reaktion gegen die Uebergriffe des 
Polizeistaates eine Beschränkung des Staatszweckes auf 
den bloßen Rechtsschutz verteidigt (Rechtsstaat, S. 
55) und verfiel so von dem einen Extrem in das an- 
dere. Heute ist auch diese Einseitigkeit Uüberwunden (Kul- 
turstaat, S. 56). 
8 9. Entstehung und Untergang der Staaten. 
à. Entstehung der Staaten. 
1. In § 7 ist die philosophische Grundlage 
(der sog. Rechtsgrund) des Staates erörtert worden, aus 
der er die „Rechtfertigung“ seines Bestehens entnimmt.
	        
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