§ 9. Entstehung und Untergang der Staaten. 59
Hier handelt es sich um die für die Erkenntnis der Natur
des Staates nicht minder bedeutsame Frage der histo-
rischen Grundlage des Staates, um sein geschichtliches
Werden und Vergehen.
2. Bei der Frage nach der Entstehung des Staates
sind auseinanderzuhalten:
die Phylogenese (Artentwicklung) des Staates,
d. h. die ursprüngliche Entstehung des Staates als Ge-
sellschafts Fbür Erinäre Staatenbildung, unten a);
und ##
die Ontogenese (Individualentwicklung) des Staa-
tes, d. h. die Entstehung eines neuen Staates in
heutiger Zeit (sekundäre Staatenbildung, unten 6).
a. Die Uranfänge der Staatenbildung führen,
wie die Völkerkunde lehrt, auf die Stufenleiter: Fa-
milie — Geschlecht — Stamm (Völkerschaft) zurück
(S. 45). Die Bindeglieder unter ihnen sind die Blutsgemein-
schaft, die in der Regel auch eine Kulturgemeinschaft ist
(Totemismus — Vereinigung der den gleichen Tiergott
verehrenden Familie, später ersetzt durch den Ahnen-
kult). Eine Herrschergewalt findet sich in allen drei
Bildungen (Hausherr, Häuptling). Zum Staat wird die
weiteste dieser Blutsverbindungen, der Stamm, aber erst
dann, wenn er seßhaft wird (was meist mit dem Be-
ginn systematischen Ackerbaus zusammenfällt); denn erst
dann sind die drei für den Begriff des Staates unentbehr-
lichen Elemente (S. 9): Staatsvolk, Staatsgebiet, Staats-
gewalt vorhanden. Sobald der Geschlechter verband
sich zum Geländeverband umgestaltet hat, wird eine
Erweiterung der Herrschergewalt in doppelter Beziehung
möglich: es können Volksfremde (z. B. die bisherigen
Bewohner des eroberten Gebiets) in die Gemeinschaft auf-
genommen werden, und ferner erstreckt sich deren Gewalt
auch über nichtaufgenommene, aber im Lande sich auf-
boaltende Fersonen. die Personalhoheit wird Gebietshoheit
Innerhalb des so tatsächlich entstandenen Gemein-
wesens entwickelt sich dann die Rechtsordnung, die
der Staatsentstehung gegenüber stets eine nachfolgende
Entwicklungsstufe darstellt (S. 429.