§ 9. Entstehung und Untergang der Staaten. 63
c. durch Okkupation staatenlosen Gebie-
tes (Kolonisation, S. 489). Okkupation ist die zwecks
dauernder Beherrschung erfolgte tatsächliche In-
besitznahme der Herrschaft über ein Gebiet, das nicht zu
einem zur Völkergemeinschaft zu zählenden Staate gehört.
1) Voraussetzung völkerrechtswirksamer Okkupation ist
daher zunächst tatsächliche Herrschaft les. Prinzip der
Effektivität)h. Diese ist in bisher staatenlosem Lande vor-
handen, wenn der Erwerbsstaat mindestens die Möglichkeit hat,
von außen kommende Angriffe abzuwehren und im Innern Ruhe
und Ordnung aufrechtzuerhalten (vgl. Generalakte der Berliner
Kongokonferenz, sog. Kongoakte, vom 26. Februar 1885,
Art. 35: „Die Signatarmächte der gegenwärtigen Akte anerkennen
die Verpflichtung, in den von ihnen in den Küsten des afrikani-
schen Kontinents besetzten Gebieten das Vorhandensein einer Ob-
rigkeit zu sichern, welche hinreicht, um erworbene Rechte und,
gegebenenfalls, die Handels- und Durchgangsfreiheit unter den
Bedingungen, welche für letztere vereinbart wurden, zu schützen“).
Hissen der Nationalflagge auf neuentdecktem Gebiet oder sonstige
bloß symbolische Okkupationshandlungen genügen sonach nicht.
Durch die Effektivität der Herrschaftsausübung unterscheidet
sich die Okkupation vom Erwerb eines bloßen Interesses an
einem Gebiet. Zuweilen erfolgt vertragsmäßig eine „Abgren-
zung der Interessensphären“, d. h. die Zuweisung
eines bestimmten Gebiets — besonders im Hinterlande von
Kolonien (S. 19), — an die Vertragsteile, in denen diese das
ausschließliche Okkupations recht haben sollen.
2 ach modernem Völkerrecht (z. B. Kongoakte Art. 34)
gehört zur Vollendung der Okkupation die Notifikation an
die übrigen interessierten Staaten (sog. Prinzip der Pu-
blizität).
8. Durch Rechtsakte
kann das Staatsgebiet vergrößert werden:
a. im Wege eines Abtretungsvertrags;
Dieser, sich vielfach auf Friedensschlüsse gründende Staats-
landerwerb stellt im Gegensatz zur Annexion (oben ab) und Okku-
pation (oben ac) einen abgeleiteten (derivativen) Erwerb dar. Es
findet also eine Rechtsnachfolge des Erwerbsstaates statt.
Damit gehen auf diesen mindestens diejenigen Berechtigungen
und Verpflichtungen über, die mit dem erworbenen Gebiete ding-
lich verbunden („lokalisiert“) sind, z. B. die Erhaltung der
Schiffbarkeit internationaler Ströme. Hinsichtlich des Üübergangs
der Staatsschulden fehlt es dagegen an anerkannten Grund-
sätzen. Meist bestimmt der Abtretungs-, insbesondere der Frie-
densvertrag über die anteilweise Üübernahme der Staatsschulden
des verkleinerten Staates durch den vergrößerten. Die von den
beteiligten Staaten geschlossenen völkerrechtlichen Ver-
träge werden durch eine Vergrößerung oder Verkleinerung des
Heilfron, Staats= und Berwaltungsrecht. 6