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über alle Maßen an seinem Sohne; er unterhielt sich mit ihm, spielte mit ihm,
umarmte und küßte ihn, begierig für Ersatz nach der Freude langer Entbehrung
und nicht ahnend, daß es der Kosenächte letzte war. Wundersam, wie jemals ein
trugvolles Spiel einen so stetigen Erfolg haben konnte! Als sie nämlich tags
darauf sich Mainz bereits näherten, mußte ein Bote mit der Nachricht kommen,
daß die Bayern und Schwaben mit ungeheuren Streitmassen in Mainz ein-
getroffen seien. Nun stellte der Sohn dem Kaiser vor, es sei nicht geraten, sich
unter die Feinde zu begeben, bevor man ihre Gesinnung erforscht habe; die Kühn-
heit der Menschen sei zügellos; er möge sich vielmehr auf eine Burgt!), die in der
Nähe war, zurückziehen; mittlerweile wolle er selbst mit jenen unterhandeln, sie
von ihren Plänen abbringen und sie ihm dann Gnade bittend zuführen. Der
Kaiser tat, wie der Sohn ihm riet, und ging auf jene Burg, ohne die tückische
Schlinge zu gewahren, die der schöne Schein erlogener Treue geschürzt hatte.
Kaum war der Kaiser mit einigen wenigen eingetreten, als das Tor geschlossen
und seinen Getreuen der Einzug verweigert wurde. Die Lüge kam an den Tag.
Als Herr war er empfangen worden; als Gefangener ward er behandelt.
50.
Das Wormser Konkordat.
1122.
Quelle: Ekkehard von Aura, Weltchronik (Lateinisch):). Zu 1122.
Übersetzung: W. Pflüger, Die Weltchronik des Ekkehard von Aura. Leipzig 1893.
(Gesch. d. d. V. 2. Ausg. Bd. 51.) S. 150—152.
Nachdem bei der Stadt der Wangionen, welche jetzt Worms heißt, eine all-
gemeine Versammlung eröffnet war, würde es zu weitläufig wie auch unglaublich
zu erzählen sein, mit wie klugem, wie emsigem und in allen Dingen sorgsamem
Rate aller Fürsten für den Frieden und die Eintracht eine Woche hindurch oder
noch länger gestritten wurde, bis Er selbst, in dessen Hand auch das Herz des
Königs ist, den ganzen Groll des Kaisers seiner Mutter, der Kirche, wegen selbst
über die Erwartung der meisten hinaus unter den Gehorsam gegen die apostolische
Würde beugte. Wie jedoch der Kaiser, da er selbst wie das ganze ihm unter-
gebene Heer bald von den Stellvertretern des apostolischen Sitzes wieder in die
Kirchengemeinschaft aufgenommen war; ja nachdem allen von diesem Schisma
Verunreinigten durch apostolische Vollmacht allgemeine Absolution geworden war
— wie er die kirchlichen Investituren und die übrigen geistlichen Angelegenheiten,
welche so lange Zeit die deutschen Könige geleitet hatten, und welche er selbst,
damit des Reiches Ehre nicht geschwächt würde, niemals in seinem Leben aus der
Hand zu lassen sich vorgesetzt hatte, demütig vor Christo in Gegenwart einer sehr
großen Menge aufgab und in die Hand des Herrn Bischofs von Ostia und durch
1) Böckelheim an der Nahe.
2) Ekkehard war Abt des Klosters Aura bei Kissingen, wo er kurz nach 1125 starb.
Er setzte die bis zum Jahre 1101 reichende Chronik des Priors Frutolf in Michelsberg
(Bamberg) bis zum Jahre 1125 fort. Diese Chronik Frutolf-Ekkehard ist die stofflich
vollendetste des Mittelalters und bildete lange Zeit die Grundlage aller geschichtlichen
Kenntnis. Ekkehards Fortsetzung ist namentlich für die Zeit Heinrichs V. wertvoll.