— 131 —
im Jahre des Herrn 13491) wurden alle Baseler Juden auf einer Rheininsel in
einem für sie errichteten Häuschen ohne Urteil verbrannt und am darauffolgenden
Freitage die Freiburger, wobei man aber zwölf der reicheren noch aufbewahrte,
um durch sie ihre Schuldner in die Enge zu treiben. Zu Speyer und Worms ver-
sammelten sich die Juden in einem Hause und verbrannten sich selbst . . .. In
Straßburg wurden, um das Geschrei zu beschwichtigen, einige auf das Rad ge-
flochten und rasch getötet, damit sie nicht über die noch lebenden Schuldigen etwas
aussagen konnten . . . . Auch viele Christen gestanden auf der Folter, sie hätten
von den Juden Geld empfangen und, nachdem diese einige Worte über sie ge—
sprochen, sie selbst aber den Giftmord zugesagt hätten, wären sie in eine solche
Raserei geraten, daß sie mit Freuden alle Christen getötet haben würden. Deshalb
wurden nach und nach auch fast alle die getauften Juden verbrannt, weil sie be-
kannten, daß sie alle schuldig wären
118. Als die Krankheit sich allmählich in Deutschland verbreitete, fingen die
Menschen an, sich zu geißeln und das Land zu durchziehen. Im genannten Jahre
1349 kamen Mitte Juni siebenhundert aus Schwaben nach Straßburg. Sie hatten
einen Anführer und noch zwei Meister, deren Befehlen alle Folge leisteten. Als
sie um die Zeit der Prim?) den Rhein überschritten hatten, bildeten sie unter
Zulauf des Volkes einen weiten Kreis, in dessen Mitte sie sich entkleideten, Kleider
und Schuhe ablegten und, die Hemden hosenartig vom Schenkel bis zum Knöchel
um sich schlagend, herumgingen. Einer nach dem anderen warf sich in diesem
Kreise wie ein Gekreuzigter zu Boden, und jeder von ihnen berührte im Vorüber-
gehen den Hingestreckten mit der Geißel. Die letzten, welche sich zuerst nieder-
geworfen, standen zuerst wieder auf, schlugen sich mit Geißeln, welche Knoten mit
vier eisernen Stacheln hatten, und zogen, in deutscher Sprache zum Herrn singend,
unter vielen Anrufungen vorüber. In der Mitte des Kreises standen drei laut
Vorsingende, welche sich dabei geißelten; ihnen sangen die anderen nach. Nachdem
sie dies lange so getrieben, beugten auf ein gegebenes Zeichen alle die Knie und
fielen wie Gekreuzigte unter Schluchzen und Beten auf das Antlitz. Darauf
gingen die Meister im Kreise umher und mahnten sie, den Herrn anzuflehen um
Barmherzigkeit für das Volk, für ihre Wohltäter, für ihre Feinde, für alle Sünder,
für die im Fegfeuer Befindlichen und noch viele andere. Darauf erhoben sie sich
und sangen kniend und mit zum Himmel erhobenen Händen. Endlich standen sie
auf und geißelten sich lange im Herumgehen wie vorher. Während sie sich anzogen,
zog sich der andere Teil von ihnen, welcher die Kleider bewacht hatte, aus und
machte es ebenso. Dann stand ein mit kräftiger Stimme Begabter auf und las
einen Brief vor, dem Inhalte nach ähnlich demjenigen, welcher in der Kirche des
heiligen Petrus zu Jerusalem durch einen Engel überbracht sein sollte, wie es
hieß. Darin erzählt der Engel, daß Christus, beleidigt durch die Sünden der
Welt — deren er mehrere aufführt, als Entheiligung des Tages des Herrn, Nicht-
fasten am Freitage, Gotteslästerung, Wucher, Ehebruch — und durch die heilige
Jungfrau und die Engel um Barmherzigkeit angefleht, geantwortet hätte: „Jeder
Mensch müßte vierunddreißig Tages) lang pilgern und sich geißeln, um Barm-
herzigkeit zu erlangen.“
1) 16. Januar 1349.
*) Die Prim (prima) war die erste Tagesstunde, von 5—6 Uhr morgens, und zugleich
die zweite klösterliche Betzeit. Vgl. S. 44. Anm. 3 und S. 114. Anm. 2.
*) Die Zahl 34 steht in Hezlehung zum Lebensalter Jesu.
9*