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sie das Volk Gottes unbarmherzig behandeln würden, und noch viel heimtückischer,
denn sie bisher regiert und geherrscht haben.
Aber wie dem, weil ich ein Mensch und nicht Gott bin, so vermag ich meine
Bücher auch auf keine andere Weise zu halten, denn mein Herr Jesus Christus
selbst seine Lehre bekräftigt hat, welcher, als er vor Hannas über seine Lehre be-
fragt und vom Diener an die Backe geschlagen wurde, sagte: „Habe ich übel ge-
redet, so gib mir Zeugnis von dem Ubel!“ Wo der Herr selbst, der da gewußt
hat, daß er nicht irren konnte, sich dennoch nicht geweigert hat, Zeugnis wider
seine Lehre auch vom allerschnödesten Knecht anzuhören: wieviel mehr sollte ich,
der ich nichts anderes vermag, denn irren, begehren und erwarten, daß mir
jemand Zeugnis geben wollte wider meine Lehre. Und so bitte ich Eure ge-
heiligte Majestät, Eure durchlauchtigsten Herrlichkeiten und jedermann, der es ver-
mag, vom höchsten und niedersten Stand, um der Barmherzigkeit Gottes willen:
bringt Zeugnis, überführt mich des Irrtums mit den prophetischen und evan-
gelischen Schriften. Denn wenn man mich eines Besseren belehrt, so bin ich
freudig bereit, jeden Irrtum zu widerrufen, und will der erste sein, der meine
Schriften ins Feuer wirfft:
Weil denn Eure kaiserliche Majestät und Gnaden eine schlichte Antwort be-
gehren, so will ich eine geben, die weder Hörner noch Zähne hat: Es sei denn,
daß ich durch das Zeugnis der Schrift überwunden werde oder aber durch klare
Gründe — denn ich glaube weder dem Papst, noch den Konzilien allein, weil
es am Tag ist, daß dieselben zu mehreren Malen geirrt und wider sich selber ge-
redet haben —, so bin ich überwunden durch die Schrift, auf die ich mich gestützt,
so ist mein Gewissen in Gottes Wort gefangen, derhalben ich nichts mag noch will
widerrufen, weil wider das Gewissen zu handeln beschwerlich, unheilsam und ge-
fährlich ist. Gott helfe mir! Amen.“
98.
Der päpstliche Nuntius Aleander über Luther.
« 1521.
Quelle: Bericht des päpstlichen Nuntius Aleander nach Rom über
Luthers Auftreten vor dem Wormser Reichstag (Italienisch)u).
Übersetzung: Kalkoff, Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichstage 1521. Halle 1886. S. 140.
Worms, den 19. April 1521.
Ew. Herrlichkeit werden schon durch den mündlichen Bericht Messer Rafaels
de' Medicis) den Ausgang des ersten mit Luther vor Kaiser und Reich angestellten
Verhörs erfahren haben. Durch gegenwärtigen kaiserlichen Kurier vernehmen Ew.
Herrlichkeit, wie heute nachmittag um 4 Uhr Martin an den Hof beschieden
wurde und, da der Kaiser mit den Fürsten noch oben verzog, bis zu seinem
Verhör länger als anderthalb Stunden warten mußte unter gewaltigem Zulauf bei
1) Hieronymus Aleander (1480—1542) war seit 1508 Professor des Griechischen an
der Pariser Universität und wurde 1517 Bibliothekar Papst Leos X. 1520 kam er als
Nuntius nach Deutschland. — Die Aleanderdepeschen bilden eine für den Historiker un-
schätzbare Quelle über die Vorgänge auf dem Wormser Reichstag, da sie unter dem un-
mittelbaren Eindruck der großen Ereignisse und mitten in der Aufregung und Spannung
des Kampfes mit rückhaltloser Offenheit in Beurteilung von Personen und Verhältnissen
geschrieben sind. »
" )ieserwartagszuvorna talien abgereist, wo er dem Vizekanzler schon am
26. April in Florenz Bericht iachd gerei zelanzier sch
W. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch. I. 11