Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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seiner Ankunft, wie während seines Wartens. Als nun der Kaiser, die Fürsten und 
Stände des Reichs eingetreten waren, fragte der Trierer Offizial, der schon das 
erste Verhör im Namen des Kaisers geleitet hatte, in wohlgesetzter, eindringlicher 
Rede: „Luther, obwohl Dir billigerweise in einer so weltkundigen Sache keine 
Bedenkzeit mehr hätte bewilligt werden sollen, so hat Dir doch Kaiserliche Majestät 
nach Ihrer Gnade und Milde bis zu dieser Stunde für Deine Antwort Frist ge— 
geben; derhalben wirst Du nun offen und ehrlich erklären, ob Du widerrufen 
wollest alles, was Du gegen das Herkommen unserer heiligen Kirche, gegen die 
Konzilien, Dekrete, Gesetze und Zeremonien, wie sie unsere Vorfahren und wir 
bis auf den heutigen Tag gehalten haben, geschrieben hast, und ob Du gleicher— 
maßen widerrufest die vom gegenwärtigen Papst verdammten Lehrsätze. Aber 
siehe zu, daß Du nicht anstößig noch zweideutig (cornute nec ambigue) 1) ant- 
wortest, sondern uns klaren Bescheid gebest.“ 
Martin erklärte, er habe dreier Gattungen Bücher geschrieben, die einen gegen 
die römischen Mißbräuche: und nun fing er an, den heiligen Vater und Rom, das 
er die Folterkammer der Christenheit nannte, auf das giftigste herunterzureißen; 
und da er sich hierüber zu weit verbreitete, hieß ihn der Kaiser über diesen Punkt 
schweigen, im übrigen aber fortfahren. Die andere Reihe seiner Bücher habe er 
verfaßt auf die Anfeindungen seiner Gegner hin, deren Schuld es auch sei, wenn 
er sich hier scharf ausgesprochen habe; unter der dritten Klasse der Bücher, die 
Lehre des Evangeliums betreffend, fänden sich einige, die weder seine Gegner noch 
die Bulle für anstößig erklärten. Aber von diesen drei Arten der Bücher könne 
und werde er kein Wort widerrufen, wenn er nicht in einer Disputation allein 
auf Grund des Alten oder Neuen Testaments des Irrtums überwiesen sei und 
anders nicht; wenn er aus anderer Ursache, wozu er sich indessen nie verstehen 
werde, widerrufe, würde er gegen sein eigenes Gewissen und göttliche Wahrheit 
handeln; daher bitte und ermahne er Kaiserliche Majestät den Lauf dieser seiner Lehre 
nicht hemmen zu wollen, was nicht nur der ruhmreichen deutschen Nation, sondern 
auch Ihren anderen Herrschaften und Königreichen zum Verderben ausschlagen 
könne: er für seine Person werde jedenfalls die christliche Wahrheit nicht ver- 
leugnen, da ihn sonst Christus verleugnen müsse vor seinem himmlischen Vater. 
Der Offizial, seiner Instruktion gemäß, erwiderte darauf klugerweise: „Martin, 
wenn Deine falschen Meinungen und Ketzereien neu und von Dir erfunden 
wären, so würde Kaiserliche Majestät vielleicht beim heiligen Vater darum ein- 
kommen, daß Se. Heiligkeit dieselben durch fromme und gelehrte Männer prüfen 
ließe, damit Dir kein Unrecht geschähe. Aber Deine Irrtümer sind die der alten 
Ketzer, der Waldenser, Begharden, Adamiten, der Armen von DLyon, des Vicleff 
und Hus, die längst durch die heiligen Konzilien, die Päpste und das kirchliche 
Herkommen verdammt sind und deshalb nicht mehr gegen göttliches und mensch- 
liches Gesetz erörtert und in Zweifel gezogen werden dürfen.“ Daran knüpfte der 
Offizial eine Frage, welche die deutsche Nation ganz besonders bewegt, ob er nicht 
widerrufen wolle, was er gegen das heilige Konstanzer Konzil, das beschickt war 
von allen Nationen und anerkannt von aller Welt, geschrieben habe. Er verneinte 
1) Diese Forderung einer Antwort „ohne Hörner und Mantel" sprach der Offizial erst 
am Ende seiner Erwiderung auf Luthers Rede aus. Er verlangte von ihm: „Sincere et 
candide, non ambigue non cornute respondeas, an libros tuos et errores. revocare 
et retractare velis nec ne“ (er solle einfach, klar und unzweideutig antworten, ob er 
seine Bücher und Irrtümer widerrufen und zurücknehmen wollte oder nicht).
	        
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