Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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es ging im Herbst alles an allen Orten drauf. Hatte in meinem Hause elf Per- 
sonen, ohne Troß und Mägde. Es ist nicht zu beschreiben, was ich, mein Weib 
und Kinder die Zeit über haben leiden und ausstehen müssen. Es war solche große 
Mattigkeit und Mangel, daß meine armen Pfarrkinder toten Leuten ähnlicher 
sahen als lebendigen. Viele lagen schon aus Hunger danieder und mußten 
gleichwohl alle Tage etliche Male Fersengeld geben und uns verstecken. Und 
obgleich wir unsere Linsen, Wicken und arme Speise in die Gräber und alten 
Särge versteckten, wurde es uns doch alles genommen. Damals mußten die noch 
lebendigen Leute von Haus und Hof gehen oder Hungers sterben. Wie denn zu 
Poppenhausen die meisten begraben wurden. Es blieben etwa noch acht oder 
neun Seelen, die Anno 1636 vollends darauf gingen oder entwichen. Ebenso 
war es zu Lindenau, welche Pfarre mir 1636 vikariatsweise vom fürstlichen Konsi— 
storium anbefohlen war. Ich konnte keine Einkünfte genießen. Apfel, Birnen, 
Kraut und Rüben waren meine Besoldung. So bin ich von Anno 1636 bis 1641 
auch der Lindenauer Pfarrer gewesen. Ich ließ zwar die Pfarre zurichten, konnte 
aber wegen Unsicherheit und Plackerei nicht beständig drunten wohnen und ver— 
richtete die Arbeiten von Heldburg aus. Mein Zeugnis von den Lindenauern ist 
noch vorhanden, worin sie bekennen, daß ich in fünf Jahren nicht zehn Gulden an 
Geld bekommen habe, sie haben mir aber seither den Rest mit Holz und Apfeln 
richtig gemacht. 
Als Anno 1640 zwischen Ostern und Pfingsten die kaiserlichen und die 
schwedischen Armeen zu Saalfeld ein Lager schlugen, wurde Franken und Thüringen 
nah und fern verderbet. Am Sonntag Exaudi früh 4 Uhr fielen starke kaiserliche 
Parteien zu Heldburg ein. Meine ganze Gasse oben herein und hinten mein Hof 
waren in Eile voll Pferde und Reiter, nicht anders, als wenn ihnen mit Fleiß 
mein Haus wäre gezeigt worden. Da führte ich sie in Küche und Keller, sie 
möchten selber suchen, was ihnen dienen könnte. Endlich verließen mich zwar alle 
und ließen mich allein im Hause, doch war Schrecken, Furcht und Angst so groß, 
daß ich an meine Barschaft nicht gedachte, die ich hätte retten können, wenn ich 
mich getraut hätte, damit fortzukommen. Ich dachte vor Angst an kein Geld und 
begab mich mit Weib und Kindern ins nächste Holz gen Hellingen; da blieb alt 
und jung, Geistliche und Weltliche Tag und Nacht. Der meisten Leute Speise 
waren schwarze Wacholderbeeren. Nun wagten es etliche Bürger, gingen in die 
Stadt, kamen und brachten zu essen und sonst, was ihnen lieb gewesen. Ich 
dachte: Ach, wenn du auch könntest in dein Haus kommen und die baren Pfennige 
ertappen und damit dich und deine Kinder könntest fortbringen. Ich wagte es, 
schlich hinein und ging durchs Spitteltor aufs Mühltor zu, das mit Palisaden ver- 
wahrt war. Da hatte inwendig ein und der andere auf der Lausche gestanden, 
die mich erhaschten. Da ward ich mit neuen Stricken gebunden, daß ich mich 
weder mit Gehen noch Greifen behelfen konnte, sollte entweder Geld geben oder 
reiche Leute verraten. Mußte den Dieben für ihre Pferde im Herrenhofe Futter 
schwingen, den Pferden zu trinken vorhalten und andere lose Arbeit tun. Da ich 
mich nun etwas frei zu sein deuchte, lief ich davon, aber unwissend, daß vor dem 
Hoftore ein ganzer Haufe Soldaten stand, lief ich ihnen also in die Arme. 
Welche mich mit Degen schlugen, mich besser mit Stricken verwahrten und von 
Haus zu Haus führten, und sollte ihnen sagen, wem dies oder jenes Haus wäre. 
Also ward ich auch in mein Haus geführt; da sah ich in der Hausflur den 
kupfernen Schöpftopf liegen, in welchem meine Barschaft gewesen, und dachte:
	        
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