Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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schichtliche Aufzeichnung darüber vorhanden ist. Römische Soldaten lagen dort im 
Winterquartiere; Städte wurden gegründet, und die Barbaren wurden durch 
römische Sitten wie umgewandelt; Märkte wurden eröffnet und friedlicher Verkehr 
mit ihnen unterhalten. Doch nicht hatten sie die Sitten ihrer Väter, ihre an- 
geborene Art, ihr freies Leben und die Macht, welche ihnen die Waffen gaben, 
vergessen. Solange sie ganz allmählich und mit methodischer Behutsamkeit um- 
gebildet wurden, empfanden sie die Veränderung ihrer Lebensart nicht drückend 
und merkten es selbst nicht, wie sie andere wurden. Als aber Varus Quintilius), 
der, nachdem er Syrien verwaltet hatte, zum Oberbefehlshaber in Germanien 
ernannt war und die dortigen Verhältnisse als höchste Behörde ordnete, sie mit 
größerer Schnelligkeit und mehr Nachdruck umwandeln wollte, ihnen Befehle 
wie Sklaven erteilte, und wie von Untergebenen Geldzahlungen forderte, er- 
trugen sie es nicht, Fürsten wie Volk: jene, weil sie nach ihrer früheren Macht 
Begehr trugen, dieses, weil es die gewohnte Ordnung der Dinge fremder Zwing- 
herrschaft vorzog. Einen offenen Aufstand wagten sie nicht, weil sie sahen, daß die 
Römer zahlreich am Rhein, zahlreich auch in ihrem eigenen Lande standen; 
sondern indem sie Varus bereitwillig aufnahmen, als würden sie alles tun, was 
ihnen befohlen würde, lockten sie ihn weit ab vom Rhein in das Land der 
Cherusker und an die Weser. Da sie auch dort in Friede und Freundschaft mit 
ihm lebten, brachten sie ihn zu dem Glauben, sie könnten Sklaven sein, auch ohne 
Soldaten. ' 
19. So hielt denn Varus seine Heeresmacht nicht, wie es in Feindesland sich 
gehörte, beisammen, sondern überließ die Soldaten scharenweise hilfsbedürftigen 
Leuten, die darum baten, bald um irgendeinen festen Platz zu bewachen, bald 
um Räuber einzufangen, bald um Getreidetransporte zu begleiten. Die haupt— 
sächlichsten Verschworenen, welche bei dem Anschlage wie nachher im Kriege an- 
führten, waren neben anderen Arminius?) und Segimerus; beide waren stets um 
Varus und oft an seiner Tafel. Während er daher gutes Mutes war und nichts 
Arges erwartete und allen denen, welche argwöhnten, was geschah, und ihm zur 
Vorsicht rieten, nicht allein gar keinen Glauben schenkte, sondern sie schalt, als ob 
sie sich vergebens ängstigten und jene mit Unrecht verleumdeten, empörten sich 
zuerst einige von denen, welche weiter ab wohnten, der Verabredung gemäß, damit 
Varus, wenn er gegen sie zöge, auf dem Marsche, zumal er in Freundesland zu 
sein glaubte, leichter beizukommen wäre und er nicht etwa, wenn alle zugleich 
plötzlich den Krieg erklärten, sich durch Vorsicht sicherte. So geschah es. Als er 
aufbrach, ließen sie ihn vorausziehen und blieben zurück, angeblich um Bundes- 
genossen zu werben und sodann binnen kurzem zu ihm zu stoßen. Nachdem sie die 
dienst sehr hohe Amter bekleidete, ja sogar zweimal das Konsulat erlangte. In seinen 
Mußestunden trieb er eifrig Studien und sammelte mit unermüdlichem Fleiß den Stoff zu 
den 80 Büchern seiner „Römischen Geschichte“. Wichtig für uns ist seine Darstellung der 
Kämpfe zwischen Römern und Germanen. Freilich haben wir nicht die Schilderung des 
Cassius selbst, sondern nur Auszüge aus ihr, die in den Werken zweier etwa 900 Jahre 
nach ihm lebenden byzantinischen Mönche enthalten sind. Aber auch der hiernach wieder 
hergestellte Bericht ist trotz seiner Unvollständigkeit sehr wertvoll; er enthält die umfang- 
reichste Erzählung über die Varusschlacht. # 
1) Sein Bildnis ist auf einer Kupfermünze einer afrikanischen Stadt erhalten. Die 
Münze ist geprägt, als Varus Prokonsul in Afrika war (7/6 vor Christo). 
) Der Name Arminius ist die Lateinisierung eines germanischen Namens, der un- 
bekannt ist, jedenfalls aber nicht unserem Hermann entspricht.
	        
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