Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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lagen Bruchstücke von Waffen und Gliedmaßen von Pferden; zugleich hingen an Baum- 
stämmen angeheftet die Köpfe. In den nahen Hainen fand man die barbarischen 
Altäre, an denen sie die Tribunen und Centurionen erster Ordnung!) hingeschlachtet 
hatten. — Und die, welche übriggeblieben waren von jener Niederlage, aus der 
Schlacht oder den Fesseln entkommen, berichteten: hier seien die Legaten 1) gefallen, 
dort die Adler ihnen entrissen; wo Varus die erste Wunde beigebracht ward, wo er 
durch seine unselige Rechte und eigenen Stoß den Tod fand, von welcher Erhöhung 
herab Arminius redete, wie viele Galgen für die Gefangenen angelegt wurden, 
wie viele Gruben), und wie er die Feldzeichen und Adler frech verspottete. 
62. So brachte denn das anwesende römische Heer sechs Jahre nach der 
Niederlage der drei Legionen Gebeine, und da keiner unterscheiden konnte, ob 
er fremde oder der Seinen Reste mit Erde bedeckte, allesamt wie Verbündete, 
wie Verwandte zur Ruhe, mit gesteigertem Zorn gegen die Feinde, tief betrübt 
zugleich und tief erbittert. Die erste Rasensode bei Errichtung des Grabhügels 
legte der Cäsar: den Toten ein willkommener Dienst, den Anwesenden ein 
Zeichen, wie sehr er ihren Schmerz teilte. — Tiberius billigte dies nicht: sei 
es, weil er bei Germanikus alles mißgünstig auslegte, sei es, weil er glaubte, 
das Heer wäre durch das Bild der Erschlagenen und Unbestatteten träger gemacht 
zur Schlacht und zaghafter gegen die Feide 
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Der Rückzug Cäcinas. 
15 nach Christo. 
Quelle: P. Cornelius Tacitus, Jahrbücher (Lateinisch). I, 63—68. 
Ülbersetzung: J. Horkel und W. Wattenbach a. a. O. 2. Abt. S. 25—29. 
— Bald danachs) führte Germanikus das Heer wieder an die Ems und 
brachte die Legionen auf Schiffen, wie er sie hingeschafft hatte, zurück . Cäcina, 
der sein eigenes Heer führte, ward bedeutet, er sollte, wiewohl er auf bekannten 
Wegen zurückmarschierte, die langen Brücken") so zeitig als möglich überschreiten. 
  
1) Der Legat befehligte eine Legion. Die Militärtribunen und Centurionen erster 
Ordnung waren höhere Offiziere. Ihre Bedeutung ist nicht ganz klar. Die Militärtribunen 
standen zur Zeit der Republik an der Spitze der Legion; jetzt waren sie dem Legaten 
unterstellt. Die Centurionen erster Ordnung führten vielleicht die Kohorten (1 Legion — 
10 Kohorten = 60 Centurien = etwa 6000 Mann); vielleicht waren es auch die sechs Cen- 
turionen der ersten Kohorte. 
*) Wahrscheinlich wurden viele Gefangene lebendig begraben. 
*) Unmittelbar nach dem Besuch des Schauplatzes der Varusschlacht ließ sich Ger- 
manikus von Arminius in einen Hinterhalt locken; er kam zwar noch einigermaßen 
glimpflich davon; aber er hielt es doch für vorteilhaft, an die Ems zurückzukehren, von 
wo aus er diesen zweiten Vorstoß des Jahres 15 angetreten hatte. Sein Unterführer 
Cäcina erhielt dabei die entsagungsreiche Aufgabe, den Abmarsch der Hauptmacht zu 
decken. Die Kämpfe, die Cäcina nach Lösung seiner Aufgabe auf seinem Rückzuge zu 
bestehen hatte, hat Tacitus überaus anschaulich und dramatisch geschildert; die Erzählung 
gewährt wie kaum eine andere einen Einblick in die ganze grausenvolle Wildheit der 
Kriegführung; sie zeigt zugleich, wie es den Römern so ganz unmöglich war, in den 
Wäldern und Morästen Germaniens trotz mancher Siege festen Fuß zu fassen; sie deckt 
aber auch mancherlei Schwächen der germanischen Kriegführung auf. 
4) Vielleicht die sogenannten Bohlwege im Diepholzer Moor (zwischen Brägel und 
Paradiek, nördlich von Diepholz im Hannoverschen). 
W. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch. I. - 2
	        
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