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lassen. Falls sie flöhen, warteten ihrer mehr Wälder, tiefere Sümpfe und die
Blutgier der Feinde; blieben sie hingegen Sieger, Ehre und Ruhm. Der Liebe,
die in der Heimat, der Ehre, die im Lager ihrer harrte, tat er Erwähnung; von
möglichen Unglücksfällen schwieg er völlig. Sodann gab er die Pferde der Legaten
und Tribunen, von seinem eigenen anfangend, ohne Rücksicht auf Rang den
tapfersten Kriegern, damit erst sie, dann das Fußvolk den Feind angriffe.
68. In nicht geringerer Unruhe erhielt die Germanen Hoffnung, Kampflust
und Meinungsverschiedenheit der Anführer, indem der Rat des Arminius war:
man sollte sie heranrücken lassen und, wären sie heraus, wiederum auf feuchtem,
schwierigem Boden umzingeln, der des Inguiomerus:) — gewaltsamer und den
Barbaren willkommen —: man sollte mit Waffen in der Hand den Wall um-
schließen; die Erstürmung würde leicht, die Zahl der Gefangenen größer, die
Beute unverkürzt sein. So füllen sie denn, als der Tag begann, den Graben
aus, werfen Reisigbündel hinein, arbeiten sich zur Höhe des Walles hinan, auf dem
nur hin und wieder ein Soldat steht, wie von Furcht festgebannt. Als sie so
zwischen den Befestigungswerken eingeklemmt waren, wird den Kohorten das
Zeichen gegeben: Hörner und Trompeten ertönen. Mit Geschrei sodann und im
Sturme werfen sie sich von allen Seiten den Germanen in den Rücken mit dem
höhnenden Rufe: „Hier werden nicht Wälder und Sümpfe, sondern auf ebenem
Felde gerechte Götter entscheiden.“ Den Feinden, die sich das Vernichtungswerk
leicht und wenige halbbewaffnete Gegner vorgestellt hatten, trat der Klang der
Trompeten, der Glanz der Waffen, je unerwarteter, desto gewaltiger entgegen:
sie fielen wie im Glück unersättlich, so unvorsichtig im Unglück. Arminius verließ
unversehrt, Inguiomerus mit einer schweren Wunde die Schlacht: die Masse ward
hingeschlachtet, bis der Ingrimm und der Tag sank. Erst in der Nacht kehrten die
Legionen zurück. Obwohl mehr Wunden, gleicher Mangel an Nahrungsmitteln sie
quälten: Kraft, Gesundheit, Nahrung, alles fanden sie in dem Gefühle des Sieges.
7.
Armins Tod.
21 nach Christo.
Quelle: P. Cornelius Tacitus, Jahrbücher (Lateinisch). II, 88.
Übersetzung: J. Horkel und W. Wattenbach a. a. O. 2. Abt. S. 53 und 54.
88. Arminius hatte, nachdem die Römer abgezogen und Marbod
vertrieben war, da er nach der Königsherrschaft trachtete, den Freiheitssinn seines
Volkes gegen sich. Während er, mit bewaffneter Hand angegriffen, mit wechseln-
dem Glücke stritt, fiel er durch die Hinterlist seiner Verwandten; er, unstreitig
der Befreier Germaniens, der nicht die Anfänge des römischen Volkes, wie
andere Könige und Feldherren, sondern das Reich in voller Blüte bekämpft hatte,
in den Schlachten des Erfolges nicht sicher, im Kriege unbesiegt. Auf sieben-
unddreißig Jahre brachte er sein Leben; zwölf Jahre behauptete er seine Macht,
1) Inguimer, ein Cheruskerfürst, war ein Oheim des Arminius; er führte in der
Schlacht am Steinhuder Meer im Jahre 16 den Oberbefehl an Stelle seines verwundeten
Neffen. Im nächsten Jahre trat er aus Eifersucht gegen Arminius zu Marbod über.