Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

9. 
Ein Gastmahl am Hofe Attilas. 
Um 450. 
Quelle: Priskos, Byzantinische Geschichte (Griechisch)y. 
Ülbersetzung: Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Bergangenheit. 26. Aufl. Leipzig 1900. Bd. 1. 
S. 166—169. 
Nach der Rückkehr in das Zelt erschien ein Bote und meldete, daß Attila 
uns beide zum Mahle lade, es werde zur neunten Tagesstunde ?) sein. Wir 
beobachteten die rechte Zeit, und zum Mahle gerufen, traten wir und die Ge- 
sandten der Weströmers) ein und standen auf der Schwelle dem Attila gegen- 
über. Die Weinschenken boten einen Becher nach der Landessitte, damit auch wir, 
bevor wir niedersaßen, den Heilwunsch aussprechen sollten. Als wir dies getan 
und aus dem Becher gekostet hatten, gingen wir zu den Sesseln, auf denen man 
bei der Mahlzeit sitzen mußte"). Alle Sessel standen längs den Wänden des Saales 
auf den beiden gegenüberliegenden Seiten. In der Mitte aber saß auf einem 
Tafelbett Attila, und hinter ihm war ein anderes Tafelbett, von dem einige 
Stufen auf sein Nachtlager führten, welches durch Schleier und bunte Vorhänge 
schmuckvoll verhüllt war, so wie die Hellenen und Römer den Brautleuten ihr 
Lager zurichten. Für die vornehmste Reihe der Tafelnden hielten sie die rechte 
Seite des Attila, für die zweite aber die linke, an welcher wir waren . Der 
älteste Sohn Attilas saß auf dem Tafelbett des Königs, nicht nahe an ihm, 
sondern an der Ecke und blickte aus Ehrfurcht vor dem Vater zu Boden. Als 
wir alle nach dem Range saßen, kam der Weinschenk und bot dem Attila eine 
Schale Wein. Er nahm sie und grüßte den ersten im Range. Wer durch den 
Gruß geehrt wurde, stand auf und durfte sich nicht eher setzen, bis er entweder 
gekostet oder auch ausgetrunken und den Becher dem Schenken zurückgegeben hatte. 
Dem sitzenden Attila aber zeigten auf dieselbe Weise alle Anwesenden ihre Ehr- 
furcht, indem sie die Becher nahmen und nach dem Heilwunsch daraus tranken. 
Jedem wartete ein besonderer Schenk auf, der nach der Reihe eintreten mußte, 
wenn der Schenk des Attila abtrat. Nachdem der zweite und die folgenden be- 
grüßt worden waren, empfing Attila auch uns in gleicher Weise nach der Ordnung 
der Stühle. 
Als mit diesem Gruß alle geehrt waren, gingen die Schenken hinaus, und 
zuerst wurde dem Attila eine Platte vorgesetzt, dann den anderen, je eine für drei, 
vier oder auch mehr Männer, von denen jeder sich aus den Gerichten der Platte 
  
1) Von den 8 Büchern der „Byzantinischen Geschichte“ des als Lehrer der Bered- 
samkeit in Byzanz lebenden Thraziers Priskos sind nur geringe Überreste auf uns ge- 
kommen. Zu diesen gehört auch ein Bericht über eine Gesandtschaft, die ihn selbst kurz 
vor 450 (446 oder 448) als Begleiter des oströmischen Gesandten an den Hof Attilas ge- 
führt hat. Priskos war ein verständiger Mann, der gut beobachtete und treu und zu- 
verlässig schilderte. Da er nun die Gegenstände, über die er hier berichtet, aus eigener 
Anschauung kennen gelernt hat, so ist die schmucklose Erzählung seiner Reise ungemein 
wertvoll. 
2) Um 3 Uhr nachmittags. 
) Es waren gleichzeitig drei weströmische Gesandte anwesend. Sie wollten am Hof- 
lager Attilas wegen des Tributs verhandeln, den der Kaiser von Westrom den Hunnen 
zahlen mußte. 
) Die Römer pflegten damals beim Essen zu liegen.
	        
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