Es lebte aber zu jener Zeit ein Priester mit Namen Anastasius, ein Mann
von freier Geburt; der besaß durch Gnadenbriefe der Königin Chrodichilde ruhm-
reichen Andenkens ein Grundstück. Diesen nun ging der Bischof öfters an und bat
ihn demütiglich, er möchte ihm die Gnadenbriefe der genannten Königin geben
und ihm die Besitzung abtreten. Da aber jener den Wunsch seines Bischofs zu er-
füllen sich weigerte, da dieser ihn doch bald durch Schmeicheleien zu gewinnen,
bald durch Drohungen zu schrecken suchte, ließ er ihn zuletzt wider seinen Willen
nach der Stadt bringen, dort ruchlos festhalten, und befahl, ihm, wenn er die
Scheine nicht herausgebe, alle mögliche Unbill anzutun und ihn Hungers sterben
zu lassen. Dennoch sträubte sich jener mannhaft und lieferte die Urkunden nicht
aus; denn es sei ihm besser, sagte er, daß er eine Zeitlang Hunger leide, als daß
er seine Nachkommen für die Folge im Elend lasse. Darauf wurde er auf Geheiß
des Bischofs den Schergen übergeben und sollte, wenn er die Gnadenbriefe nicht
auslieferte, den Hungertod erleiden. Es war aber bei der Kirche des heiligen
Märtyrers Cassius eine sehr alte und ganz verborgene unterirdische Kapelle, in der
war ein großes Grabmal von parischem Marmor, in dem vor langen Zeiten ein
Leichnam beigesetzt worden war. In dieses Grabmal nun wurde auf den Leichnam
lebendig der Priester gelegt und mit dem Stein verdeckt, mit dem vorher der
Sarkophag geschlossen war, während Wachen vor die Türe gestellt wurden. Die
Schergen aber verließen sich darauf, daß der Stein auf ihm lag, machten sich, da
es Winter war, ein Feuer an, bereiteten sich Glühwein und schliefen endlich be-
rauscht ein. Der Priester jedoch rief wie ein anderer Jonas den Herrn um
Barmherzigkeit an. Und da der Sarkophag geräumig war, wie wir gesagt haben,
so streckte er, obgleich er sich nicht ganz umwenden konnte, doch seine Hände un-
gehindert aus, wohin er wollte. Es ging aber von den Gebeinen des Toten, wie
er selbst zu erzählen pflegte, ein Leichendunst aus, so fürchterlich, daß es ihm nicht
nur die äußeren Sinneswerkzeuge, sondern auch die innersten Eingeweide zu-
sammenzog. Und wenn er sich mit dem Mantel die Nasenlöcher zustopfte, so
empfand er, solange er den Atem anhalten konnte, nicht den üblen Geruch, wenn
er aber zu ersticken fürchtete und den Mantel nur ein wenig vom Gesichte nahm,
so atmete er den schauerlichen Geruch nicht nur durch Mund und Nase, sondern
auch sozusagen durch die Ohren ein. Endlich, um kurz zu sein, erbarmte sich die
Gottheit selbst, wie ich glaube, seiner Not, er streckte die Hand nach der einen
Seite des Sarkophags aus und ergriff einen Hebebaum, der, da der Deckel
Raum ließ, zwischen diesem und dem Rande des Sarkophags liegen geblieben war.
MAs er diesen allgemach bewegte, merkte er, daß unter Gottes Beistand der Stein
sich fortschob. Und als der Priester ihn schon so weit zurückgebracht hatte, daß er
den Kopf herausstecken konnte, machte er sich dann mit größerer Leichtigkeit eine
Offnung so weit, daß er ganz herauszusteigen vermochte. Inzwischen hatte das
Dunkel der Nacht zwar schon das helle Tageslicht verscheucht, sich aber doch noch
nicht völlig ausgebreitet, und der Priester suchte eine Hintertüre in der Gruft; die
war mit sehr starken Riegeln und festen Nägeln versperrt, aber sie war nicht so
fest zusammengefügt, daß man zwischen den Brettern nicht hätte die Gestalt eines
Menschen erblicken können. An diese Türe legte der Priester den Kopf und sah
einen Mann, der des Weges vorüberging. Da rief er ihn an, doch mit leiser
Stimme. Jener hörte es und hieb flugs mit der Axt, die er in der Hand hatte,
die hölzernen Bretter durch, von welchen die Riegel gehalten wurden und öffnete
so dem Priester den Ausgang. Dieser machte sich sofort bei Nacht auf und eilte