Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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sehen; hier war auch alles Gepäck und der ganze Troß, weil man die Nachhut 
für den sichersten Platz hielt. Aber die Sache kam anders, als man glaubte; 
denn die Ungarn gingen unverweilt durch den Lechfluß, umgingen das Heer, 
fingen an, die letzte Legion mit Pfeilen zu necken, und machten darauf mit un- 
geheurem Geschrei einen Angriff; viele wurden gefangen oder getötet, alles Ge- 
päck genommen, die noch übrigen Gewappneten dieser Schar in die Flucht ge- 
schlagen. In ähnlicher Weise griffen sie auch die siebente und die sechste Schar an, 
töteten eine große Menge und trieben die übrigen in die Flucht. Als aber der 
König bemerkt hatte, daß er zugleich vor sich den Feind habe und hinter seinem 
Rücken die letzten Linien in Gefahr geraten waren, entsandte er die vierte Legion 
unter dem Herzog Konrad, welcher die Gefangenen befreite, die Beute dem 
Feinde abjagte und ihre plündernden Haufen aufscheuchte. Nachdem er dann diese 
ringsumher plündernden Scharen der Feinde in die Flucht geschlagen hatte, kehrte 
Herzog Konrad mit siegreichen Fahnen zum König zurück, und wunderbarer- 
weise, während die längst erprobten, an Siegesruhm gewöhnten Streiter noch 
zögerten, errang er mit jungen, fast des Streites noch unkundigen Kriegern den 
Triumph. 
46 Als nun der König erkannte, daß er jetzt die ganze Wucht des 
Kampfes von vorne zu bestehen haben werde, redete er seine Genossen zur Auf- 
munterung in folgender Weise an: „Daß wir in dieser großen Bedrängnis tapferen 
Mut beweisen müssen, das seht ihr selbst, meine Mannen, die ihr den Feind nicht 
in der Ferne, sondern vor uns aufgestellt erblickt. Bis hieher habe ich mit euren 
rüstigen Armen und stets siegreichen Waffen rühmlich gekämpft und außerhalb 
meines Bodens und Reiches allenthalben gesiegt und sollte nun in meinem 
eigenen Lande und Reiche den Rücken zeigen? An Menge, ich weiß es, über- 
treffen sie uns, aber nicht an Tapferkeit, nicht an Rüstung; denn es ist uns ja 
hinlänglich bekannt, daß sie zum größten Teile durchaus jeglicher Wehr entbehren 
und, was für uns der größte Trost ist, der Hilfe Gottes. . Schimpflich wäre es 
für uns, die Herren fast ganz Europas, jetzt den Feinden uns zu unterwerfen. 
Lieber wollen wir im Kampfe, wenn unser Ende bevorsteht, ruhmvoll sterben, 
meine Krieger, als, den Feinden untertan, in Knechtschaft leben oder gar wie 
böse Tiere durch den Strick endigen. Ich würde mehr sagen, meine Krieger, 
wenn ich wüßte, daß durch meine Worte die Tapferkeit oder Kühnheit in euren 
Gemütern erhöht würde. Jetzt laßt uns lieber mit den Schwertern als mit 
Worten die Verhandlung beginnen!“ Und nachdem er so geredet, ergriff er den 
Schild und die heilige Lanze und wandte zuerst selbst sein Roß gegen die Feinde, 
des tapfersten Kriegers und des trefflichen Feldherrn Aufgabe zugleich erfüllend. 
Die Kühneren unter den Feinden leisteten anfangs Widerstand; dann, als sie ihre 
Gefährten die Flucht ergreifen sahen, wurden sie erschreckt und, zwischen die Reihe 
der Unfrigen geratend, niedergemacht. Von den übrigen zog sich ein Teil, deren 
Pferde ermüdet waren, in die nächsten Dörfer, wurde von Bewaffneten um- 
ringt und samt den Gebäuden verbrannt. Andere schwammen durch den Fluß; 
aber da das jenseitige Ufer keinen Halt zum Aufsteigen darbot, wurden sie vom 
Strome verschlungen und kamen so ums Leben. An demselben Tage wurde das 
Lager genommen und alle Gefangenen befreit; am zweiten und dritten Tage 
wurde von den benachbarten Burgen aus die übrige Menge dermaßen auf- 
gerieben, daß keiner oder doch nur sehr wenige entkamen. Aber nicht eben un- 
blutig war der Sieg über ein so wildes Volk.
	        
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