Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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alle Häuser waren angefüllt, auf den Straßen wimmelte es; Scharnhorst war da, 
Gneisenau wurde erwartet, die hereinbrausenden Wogen einer mächtigen Zukunft 
hatten alle Gemüter ergriffen; nur ein Gedanke erfüllte die zusammengedrängte 
Menge, alles Ubrige, Beschäftigung, Liebe, Zuneigung waren nur da, insofern sie 
sich diesem Gedanken unterwarfen, ihm dienstbar wurden. Und dennoch schwebte 
über diesem Gedanken ein geheimnisvolles Dunke 
Unter der Unzahl der angekommenen Fremden war der Hauptmann Bolten- 
stern. Er gehörte zu den Schülern Scharnhorsts, d. h. zu den jüngeren Offizieren, 
von denen sein berühmter Lehrer sowohl als Gneisenau in dem bevorstehenden 
Kriege viel erwarteten. Ich fand bei ihm mehrere Offiziere, seine Freunde, und 
der einzig mögliche Gegenstand unserer Gespräche war natürlich der bevorstehende 
Krieg. Hier nun erfuhr ich, daß in der den Tag darauf erscheinenden Zeitung der 
königliche Aufruf zur freiwilligen Bewaffnung!) erscheinen würde. Die ganze 
preußische Jugend erwartete ihn; aber auch in diesem war der Feind nicht ge- 
nannt, und bei den beunruhigenden Gerüchten wurde vieles hin= und hergesprochen 
über die lähmende Wirkung, die wir von diesem Stillschweigen befürchteten. Ge- 
spannt, freudig erregt und dennoch zugleich beunruhigt, verließ ich nach Mitter- 
nacht die Gesellschaft. Ich brachte die Nacht in wilden, unruhigen Träumen zu 
und erwachte, um mich soviel als möglich für einen Vortrag über Naturphilosophie 
vorzubereiten, der um 8 Uhr stattfinden sollte. Indessen ging, was ich erfahren 
hatte, mir durch den Kopf, und plötzlich ergriff mich ein Gedanke. Es steht ja, 
dachte ich, bei dir, den Krieg zu erklären, deine Stellung erlaubt dir es, und was 
der Hof beschließen wird, wenn es geschehen ist, kann dir gleichgültig sein. Ich 
zweifelte gar nicht an dem Entschluß des Königs, sich mit Rußland zu verbinden. 
Daß man unmöglich die Jugend auffordern konnte, für Frankreich zu kämpfen, war 
mir völlig klar, man konnte aber nur verborgene und, ich gestehe es, unbegreifliche 
Gründe haben, den Feind, der freilich nach dem Aufrufe völlig enttäuscht sein 
mußte, hinzuhalten. Es kann geschehen, erwog ich, daß man, um die noch nicht 
ausgesprochene Stellung gegen den Feind zu behaupten, deinen Schritt öffentlich 
mißbilligt, ja bestraft. Du wirst dann wahrscheinlich ins Gefängnis gebracht, viel- 
leicht nach einer Festung geschickt. Wie unbedeutend erschien mir dieses in einer 
solchen Zeit. Daß ich nach kurzem wieder entlassen würde, verstand sich, wie ich 
glaubte, von selbst. Mein Hörsaal war nicht stark besetzt, die Studenten hatten 
keinen rechten Begriff von der Naturphilosophie, und die Begeisterung einer 
früheren Zeit war verschwunden; außerdem entleerte die gewaltsame Aufregung 
der Zeit alle Hörsäle .. Einen zweiten Vortrag über die physikalische Geographie 
sollte ich von 11—12 Uhr halten. Der erste naturphilosophische fand vor den 
wenigen versammelten Zuhörern statt, und ich glaube nicht, daß irgend jemand 
ahnte, was mich innerlich bewegte .. Als ich den Vortrag geschlossen hatte, 
wandte ich mich noch an die wenigen Versammelten und redete sie folgender- 
wurde dadurch der Schwager Karls von Raumer, des verdienten Geognosten, Geographen 
und Pädagogen. Seit Michaelis 1811 Professor der Physik und philosophischen Naturlehre 
in Breslau, wirkte er durch seine Persönlichkeit und seine hinreißende Beredsamkeit viel 
mit zu dem Aufschwunge der studierenden Jugend beim Ausbruch des Krieges gegen 
Frankreich und trat selbst als Freiwilliger wie auch sein Schwager von Raumer ins Heer. 
Nach Beendigung des Feldzuges übernahm er wieder sein Lehramt, das er 1831 mit 
einem an der Universität in Berlin vertauschte. Er starb im Jahre 1845. 
· Es ist der Aufruf zur Bildung freiwilliger Jägerkorps vom 3. Februar 1813 ge- 
meint.
	        
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