207 —
geführt werden? Was muß nun weiter geschehen? Ich konnte mir keine deutliche
Vorstellung davon machen. Ich hatte mich keinem anvertraut, ich stand völlig
ratlos da. Plötzlich ging mir ein Licht auf: Zu ihmt) mußt du eilen, er, wenn
irgend einer, wird deine Tat billigen, er wird dir am besten sagen, was du zu tun
hast. Schon ergriff ich den Hut, um fortzugehen, als Deputierte der Studierenden
erschienen. Sie forderten mich auf, die Rede in einem größeren Lokale zu wieder-
holen; sie schlugen den Fechtsaal, der wohl 5—600 Zuhörer fassen konnte, vor, und
ich mußte, obgleich ungern, das Versprechen geben. Es brannte mir unter den
Sohlen, aber ich konnte nicht fort. Es erschien der Professor Augusti, der
damalige Rektor der Universität. „Ich komme,“ sagte er in feierlichem Tone,
„von dem Staatskanzler.“ St. Marsan, der französische Gesandte am Hofe des
Königs, war, als er das laute Gerücht von meiner Rede vernommen hatte,
zum Staatskanzler geeilt. Wenige Tage nachher teilte mir dieser selbst den
Inhalt des Gesprächs mit. „Sagen Sie mir,“ hatte er geäußert, „was das zu be-
deuten hat? Wir glauben mit Ihnen in Frieden zu leben, ja, wir betrachten Sie
als unsere Bundesgenossen, und nun wagt es ein Universitätslehrer, unter den
Augen des Königs uns den Krieg zu erklären“ Hardenberg entgegnete: „Die
Gesinnung des Volks, der Jugend kann Ihnen kein Geheimnis sein. Die Rede
konnten wir nicht verhindern; daß sie gehalten wurde, erfuhren wir erst, als sie
geendigt war. Fordern Sie Genugtuung, die soll Ihnen werden. Aber wir dürfen
Ihnen nicht verheimlichen, daß ein jeder Schritt gegen den übereilten Redner ihn
in einen Märtyrer verwandeln und eine Bewegung erregen wird, die uns in
große Verlegenheit setzen würde, und die wir schwerlich zu hemmen vermögen.“
Mich ließ der Staatskanzler durch den Rektor wissen, wie er vernommen, daß ich
morgen die Rede zu wiederholen dächte. Er wolle nun zwar mich nicht daran
hindern, bäte mich aber, Napoleons Namen nicht zu nennen. Aus einer Art von
Instinkt hatte ich dies auch in der ersten Rede vermieden. Ich befürchtete, daß die
Nennung des Namens die Rede der nationalen Objektivität berauben und mich zu
unschicklichen, leidenschaftlichen Außerungen verleiten könnte. Der Rektor entfernte
sich, und endlich konnte ich noch zu Scharnhorst eiten
Ich trat herein, und kaum erblickte mich Scharnhorst, als er auf mich zu-
eilte, mich umarmte und in tiefer Bewegung ausrief: „Steffens, ich wünsche
Ihnen Glück! Sie wissen nicht, was Sie getan haben!“ Es war mein schönster
Ruhm .. Scharnhorst hatte ich kurz vorher kennen gelernt, er zeigte sich keines-
wegs als ein Offizier der preußischen Parade. Dieser große Mann, dem Preußen
so unendlich viel verdankt, sah einem Gelehrten in Uniform ähnlich. Wenn man
neben ihm auf dem Sofa saß, war sein ruhiges Gespräch derart, daß ich fort-
dauernd an einen berühmten Mann erinnert wurde. Seine Haltung war dann
höchst bequem, ja gekrümmt, und er äußerte sich wie ein sinnender Mann, der
ganz von seinem Gegenstand erfüllt ist. Dieser war immer bedeutend, und ob-
gleich er ruhig und langsam sprach, zog er dennoch unwiderstehlich an und ge-
wann nach kurzer Zeit nicht allein das Interesse, sondern auch das unwandel-
bare Vertrauen der Zuhörer, ja er beherrschte sie so durchaus, daß selbst der
leidenschaftlichste Mensch, wenn er auch völlig entgegengesetzter Meinung war, ge-
zwungen wurde, den Gang der Entwicklung seiner Rede mit stillschweigender Auf-
merksamkeit zu verfolgen. Der Gegner sah sich wider seinen Willen genötigt, die
1) Scharnhorst.