— 102 —
haben wird, sie auszuüben. Seinerseits hat der König von Preußen erklärt, er
mache nicht Frankreich, sondern der kaiserlichen Dynastie den Kriegt). Die Dynastie
liegt am Boden. Das freie Frankreich steht auf. Will der König von Preußen
einen Krieg fortsetzen, der ihm wenigstens ebenso fatal als uns sein wird?
Will er der Welt des 19. Jahrhunderts das grausame Schauspiel zweier sich
zerreißenden Nationen geben, die, die Menschlichkeit, die Wissenschaft, die Vernunft
vergessend, Ruinen und Leichname aufhäufen? Es steht ihm frei, er übernehme
dann auch die Verantwortlichkeit vor der Welt und der Geschichte! Wenn es eine
Herausforderung ist, wir nehmen sie an. Wir treten keinen Fingerbreit Erde,
keinen Stein unserer Festungen ab. Dabei ist unser Interesse das von ganz
Europa . Doch sollten wir auch allein bleiben; wir werden nicht wanken. Wir
besitzen eine entschlossene Armee, gut versorgte Festungen, einen gut angelegten
Festungsgürtel und vor allem den Brustwall von 300000 Streitern, entschlossen
bis auf den letzten Mann sich zu halten.. Nach den Forts die Brustwehren,
nach den Brustwehren die Barrikaden. Paris kann sich drei Monate halten und
siegen; wenn es unterläge, würde Frankreich aufstehend es rächen; es würde den
Kampf fortsetzen, und der Angreifer würde dabei zugrunde gehen.
59.
Bismarcks Kriegsziele und seine Stellung zu ver neuen fran-
zösischen Republik.
Quelle: Bismarcks Rundschreiben an die diplomatischen Vertreter bei
den neutralen Mächten vom 16. September 1870.
Fundort: Aegidi und Klauhold a. a. O. Bd. 19. Nr. 4106.
Euerer ist das Schriftstücke) bekannt, welches Herr Jules Favre im Namen
der jetzigen Machthaber in Paris, welche sich selbst das Gouvernement de la
défense nationale nennen, an die Vertreter Frankreichs im Auslande gerichtet hat.
Gleichzeitig ist es zu meiner Kenntnis gekommen, daß Herr Thiers eine ver-
trauliche Mission an einige auswärtige Höfe übernommen hat, und ich darf vor-
aussetzen, daß er sich zur Aufgabe machen wird, einerseits den Glauben an die
Friedensliebe der jetzigen Pariser Regierung zu erwecken, andererseits die Inter-
vention der neutralen Mächte zugunsten eines Friedens zu erbitten, welcher
Deutschland der Früchte seines Sieges berauben und jeder Friedensbasis, welche
eine Erschwerung des nächsten französischen Angriffs auf Deutschland enthalten
könnte, vorbeugen soll.
An die ernstliche Absicht der jetzigen Pariser Regierung, dem Kriege ein Ende
zu machen, können wir nicht glauben, solange dieselbe im Innern fortfährt, durch
ihre Sprache und ihre Akte die Volksleidenschaft aufzustacheln, den Haß und die
Erbitterung der durch die Leiden des Krieges an sich gereizten Bevölkerung zu
steigern, und jede für Deutschland annehmbare Basis als für Frankreich unannehm-
1) König Wilhelm schreibt hierzu an seine Gemahlin (6. 11. 1870): „Der aus meiner
Proklamation angeführte Satz steht mit keiner Silbe in derselben; denn es heißt in der-
selben, daß wir der französischen Armee (nicht: dem Kaiser) den Krieg machten.“ (Oncken
a. a. O. S. 216.) Wörtlich heißt es in der berührten Ansprache König Wilhelms an das
französische Volk vom 11. August 1870: Je fais la guerre aux soldats et non aux citopens
francais. (Aegidi und Klauhold!' a. a. O. Bd. 11. Nr. 4091.)
2) Vgl. Nr. 58. 2. Quelle. ·