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der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem
der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir
halten es für unsere kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von neuem
ans Herz zu legen, und würden wir mit um so größerer Befriedigung auf alle
Erfolge, mit denen Gott unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken,
wenn es uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue
und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen
größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben,
zu hinterlassen. In unseren darauf gerichteten Bestrebungen sind wir der Zu—
stimmung aller verbündeten Regierungen gewiß und vertrauen auf die Unter—
stützung des Reichstages ohne Unterschied der Parteistellungen.
In diesem Sinne wird zunächst der von den verbündeten Regierungen in der
vorigen Session vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Versicherung der Ar—
beiter gegen Betriebsunfälle mit Rücksicht auf die im Reichstage stattgehabten
Verhandlungen über denselben einer Umarbeitung unterzogen, um die erneute
Beratung desselben vorzubereiten. Ergänzend wird ihm eine Vorlage zur Seite,
welche sich eine gleichmäßige Organisation des gewerblichen Krankenkassenwesens
zur Aufgabe stellt. Aber auch diejenigen, welche durch Alter oder Invalidität er-
werbsunfähig werden, haben der Gesamtheit gegenüber einen begründeten Anspruch
auf ein höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zuteil werden
können.
Für diese Fürsorge die rechten Mittel und Wege zu finden, ist eine schwierige,
aber auch eine der höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens, welches auf den sitt-
lichen Fundamenten des christlichen Volkslebens steht. Der engere Anschluß an die
realen Kräfte dieses Volkslebens und das Zusammenfassen der letzteren in der
Form korporativer Genossenschaften unter staatlichem Schutz und staatlicher För-
derung werden, wie wir hoffen, die Lösung auch von Aufgaben möglich machen,
denen die Staatsgewalt allein in gleichem Umfange nicht gewachsen sein würde.
Immerhin aber wird auch auf diesem Wege das Ziel nicht ohne die Aufwendung
erheblicher Mittel zu erreichen seen
3.
Die beginnende Feindschaft Rußlands gegen Deutschland.
1878.
Quelle: Brief Alexanders II. an Kaiser Wilhelm vom 15. August 18791).
Fundort: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte. 4. Auflage. Stuttgart o. IJ. Bd. 2. S. 775 und 776.
Jcnch halte es für meine Pflicht, Deine Aufmerksamkeit auf die traurigen
Folgen zu lenken, die das in unseren freundnachbarlichen Beziehungen herbei-
führen könnte, wenn unsere beiden Nationen einander reizen, wie die Presse der
beiden Länder es zu tun beginnt. — Ich sehe darin die Arbeit unserer gemein-
1) Die Panfslawisten schoben die Schuld an dem großen Mißerfolg, den Rußland auf
dem Berliner Kongreß (1878) erlebt hatte, dem Leiter der Verhandlungen, dem Fürsten
Bismarck, zu, trotzdem dieser als „ehrlicher Makler“ zwischen den Parteien zu vermitteln
versuchte, ja fast mehr im russischen Sinne gewirkt hatte. Infolgedessen erhob sich in der
russischen Presse ein wüster Lärm gegen Deutschland, und die öffentliche Meinung in
ßland wurde gegen alles deutsche Wesen aufgehetzt. Auch der Zar konnte sich diesen
Einflüssen nicht verschließen. Aus dieser Stimmung heraus schrieb er diesen Brief. Die
nähere Veranlassung gaben die Verhältnisse auf dem Balkan. Hier arbeitete eine inter-