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Vertrag soll in Gemäßheit seines friedlichen Charakters und um jede Mißdeutung
auszuschließen, von beiden hohen Kontrahenten geheim gehalten und einer dritten
Macht nur im Einverständnisse beider Teile und nach Maßgabe spezieller Einigung
mitgeteilt werden. Beide hohe Kontrahenten geben sich nach den bei der Be—
gegnung in Alexandrowot) ausgesprochenen Gesinnungen des Kaisers Alexanders der
Hoffnung hin, daß die Rüstungen Rußlands sich als bedrohlich für sie in Wirklich-
keit nicht erweisen werden, und haben aus diesem Grunde zu einer Mitteilung
für jetzt keinen Anlaß, — sollte sich aber diese Hoffnung wider Erwarten als eine
irrtümliche erweisen, so würden die beiden hohen Kontrahenten es als eine Pflicht
der Loyalität erkennen, den Kaiser Alexander mindestens vertraulich darüber zu
verständigen, daß sie einen Angriff auf einen von ihnen als gegen beide gerichtet
betrachten müßten. Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag
eigenhändig unterschrieben und ihre Wappen beigedrückt.
Geschehen zu Wien am 7. Oktober 1879. H. vII. P. Reuß. Andraf#y.
76.
(Die Gründung des Dreibundes.
1882.
Quelle: Artikel 3, 4 und 7 des Vertrages vom 20. Mai 1882.
Fundort: Kriegs-Rundschau. Herausgegeben von der „Täglichen Rundschau“. Berlin 1914 ff.?) S. 744 und 745.
Art. 3. Falls einer oder zwei der hohen Vertragschließenden ohne direkte
Herausforderung von ihrer Seite von zwei oder mehreren Großmächten, die den
gegenwärtigen Vertrag nicht unterzeichnet haben, angegriffen und in einen Krieg
mit ihnen verwickelt würden, würde sich der casus foederiss) für alle hohen Ver-
tragschließenden gleichzeitig ergeben.
Art. 4. Falls eine Großmacht, die den gegenwärtigen Vertrag nicht unter-
zeichnet hat, die staatliche Sicherheit eines der hohen Vertragschließenden be-
drohen würde und der Bedrohte dadurch gezwungen wäre, ihr den Krieg zu er-
klären, so verpflichten sich die beiden anderen, ihrem Verbündeten gegenüber eine
wohlwollende Neutralität zu beobachten
Art. 7. Österreich-Ungarn und Italien, die nur die möglichste Aufrecht-
erhaltung des territorialen Statusquo im Orient im Auge haben, verpflichten sich,
ihren Einfluß geltend zu machen, damit jede territoriale Veränderung, die der
einen oder der anderen der den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnenden Mächte
nachteilig wäre, hintangehalten werde. Sie werden einander zu diesem Behufe
alle Aufschlüsse geben, die geeignet sind, sich gegenseitig über ihre eigenen Ab-
sichten sowie über die anderer Mächte aufzuklären. Sollte jedoch der Fall ein-
treten, daß im Laufe der Ereignisse die Aufrechterhaltung des Statusquo") im
Gebiete des Balkans oder der ottomanischen Küsten und Inseln im Adriatischen
oder Agäischen Meere unmöglich würde, und daß entweder infolge des Vorgehens
1) Um die entstandene Mißstimmung beizulegen, besuchte Kaiser Wilhelm den Zaren
Alexander II. am 3. und 4. September 1879 in Alexandrowo, einem russischen Grenzort
südlich von Thorn.
:) Weiterhin als Kriegsrundschau bezeichnet.
2) Bündnisfall, der den Verträgen zufolge den Bund zum gemeinsamen Handeln veranlaßt.
4) Der Zustand, in dem der Balkan sich jetzt befindet. (Vgl. status quo ante bellum
= der Zustand, in dem es sich vor dem Kriege befand.)
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