Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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Karpfen zu werden, indem sie uns ihre Stacheln in unseren beiden Flanken 
fühlen lassen; sie zwingen uns zu einer Anstrengung, die wir freiwillig vielleicht 
nicht leisten würden; sie zwingen uns auch zu einem Zusammenhalten unter uns 
Deutschen, das unserer innersten Natur widerstrebt; sonst streben wir lieber aus- 
einander ..Wir müssen dieser Bestimmung der Vorsehung aber auch entsprechen, 
indem wir uns so stark machen, daß die Hechte uns nicht mehr tun, als uns ermuntern. 
Die Vorlage bringt uns einen Zuwachs an waffentüchtigen Truppen, einen 
möglichen Zuwachs — brauchen wir ihn nicht, so brauchen wir ihn auch nicht zu 
rufen, dann können wir ihn zu Hause lassen; haben wir ihn aber zur Verfügung, 
haben wir die Waffen dafür, so bildet dieses neue Gesetz eine Verstärkung der 
Friedensbürgschaften und eine Verstärkung der Friedensliga, die gerade so stark 
ist, als wenn eine vierte Großmacht mit 700000 Mann Truppen — was ja 
früher die höchste Stärke war, die es gab — dem Bunde beigetreten wäre. 
Diese gewaltige Verstärkung wird, wie ich glaube, auch beruhigend auf unsere 
eigenen Landsleute wirken und wird die Nervosität unserer öffentlichen Meinung, 
unserer Börse und unserer Presse einigermaßen ermäßigen. Ich hoffe, sie werden 
Linderung fühlen, wenn sie sich das klar machen, daß nach dieser Verstärkung und 
von dem Augenblicke an, wo das Gesetz unterzeichnet und publiziert ist, die Leute 
da sind . .Wir können an jeder unserer Grenzen eine Million guter Soldaten 
in Defensive haben. Wir können dabei Reserven von einer halben Million und 
höher, auch von einer ganzen Million, im Hinterland behalten und nach Be- 
dürfnis vorschieben. Man hat mir gesagt: Das wird nur die Folge haben, daß 
die anderen auch noch höher steigen. Das können sie nicht. Die Ziffer haben sie 
längst erreicht ... In der Ziffer sind sie ebenso hoch wie wir; aber in der 
Qualität können sie es uns nicht nachmachen. Die Tapferkeit ist ja bei allen 
zivilisierten Nationen gleich; der Russe, der Franzose schlagen sich so tapfer wie 
der Deutsche; aber unsere Leute, unsere 700000 Mann sind kriegsgedient .., aus- 
gediente Soldaten, und die noch nichts verlernt haben. Und was uns kein Volk 
in der Welt nachmachen kann: wir haben das Material an Offizieren und Unter- 
offizieren, um diese ungeheure Armee zu kommandieren. Das ist, was man nicht 
nachmachen kann. Dazu gehört das ganz eigentümliche Maß der Verbreitung 
der Volksbildung in Deutschland, wie es in keinem anderen Lande wieder vor- 
kommt. Das Maß von Bildung, welches erforderlich ist, um einen Offizier und 
Unteroffizier zum Kommando zu befähigen nach den Ansprüchen, die der Soldat 
an ihn macht, existiert bei uns in sehr viel breiteren Schichten als in irgend einem 
anderen Lande. Wir haben mehr Offiziermaterial und Unteroffiziermaterial als 
irgend ein anderes Land, und wir haben ein Offizierkorps, welches uns kein 
anderes Land der Welt nachmachen kann. Darin besteht unsere Überlegenheit und 
ebenso in der Uberlegenheit unseres Unteroffizierkorps, welches ja die Zöglinge 
unseres Offizierkorps bildet .. Ich bin also darüber ohne Sorge. 
Außerdem aber ist noch ein Vorteil der Annahme dieses Gesetzes: gerade die 
Stärke, die mir erstreben, stimmt uns selbst notwendig friedfertig. Das klingt 
paradox; es ist aber doch so. Mit der gewaltigen Maschine, zu de wir das 
deutsche Heerwesen ausbilden, unternimmt man keinen Angriff.. Wenn wir in 
Deutschland einen Krieg mit der vollen Wirkung unserer Nationalkraft führen 
wollen, so muß es ein Krieg sein, mit dem alle, die ihn mitmachen, alle, die ihm 
Opfer bringen, kurz und gut, mit dem die ganze Nation einverstanden ist; es 
muß ein Volkskrieg sein; es muß ein Krieg sein, der mit dem Enthusiasmus ge-
	        
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