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79.
Der Tod Kaiser Wilhelms I.
9. März 1888.
Quelle: Ansprache des Fürsten Bismarck an den Reichstag am 9. März 1888.
Fundort: L. Hahn, Fürst Bismarck. Bd. 5. S. 533 und 534.
Mir liegt die traurige Pflicht ob, Ihnen die amtliche Mitteilung von dem zu
machen, was Sie bereits tatsächlich wissen werden: daß Se. Majestät der Kaiser
Wilhelm heute vormittag um 1½9 Uhr zu seinen Vätern entschlafen ist. Infolge
dieses Ereignisses ist die preußische Krone und damit nach Artikel 11 der Reichs-
verfassung die deutsche Kaiserwürde auf Se. Majestät Friedrich III., König von
Preußen, übergegangen. Nach den mir zugegangenen telegraphischen Nachrichten
darf ich annehmen, daß Se. Majestät der regierende Kaiser und König morgen
von San Remo abreisen und in der gegebenen Zeit hier in Berlin eintreffen
wird. Ich hatte von dem hochseligen Herrn in seinen letzten Tagen in Be-
tätigung der Arbeitskraft, die ihn nur mit dem Leben verlassen hat, noch die
Unterschrift erhalten, welche vor mir liegt, und welche mich ermächtigt, den
Reichstag in der üblichen Zeit nach Abmachung seiner Geschäfte, das heißt also
etwa heute oder morgen, zu schließen. Ich hatte die Bitte an Se. Majestät ge-
richtet, nur den Anfangsbuchsstaben des Namens noch zu unterzeichnen. Se.
Majestät aber haben mir darauf erwidert, daß sie glaubten, den vollen Namen
noch unterschreiben zu können. Infolgedessen liegt dieses historische Aktenstück der
letzten Unterschrift Sr. Majestät vor mir. Unter den obwaltenden Umständen
nehme ich an, daß es den MWünschen der Mitglieder des Reichstages ebenso wie
denen der verbündeten Regierungen entsprechen wird, daß der Reichstag noch nicht
auseinandergeht, sondern zusammenbleibt bis nach Eintreffen Sr. Majestät des
Kaisers, und ich mache deshalb von dieser allerhöchsten Ermächtigung weiter keinen
Gebrauch, als daß ich dieselbe als historisches Dokument zu den Akten gebe und
den Herrn Präsidenten bitte, die Entschlüsse, welche den Stimmungen und den
Überzeugungen des Reichstages entsprechen, in dieser Richtung herbeizuführen.
Es steht mir nicht zu, meine Herren, von dieser amtlichen Stelle aus den per-
sönlichen Gefühlen Ausdruck zu geben, mit welchen mich das Hinscheiden meines
Herrn erfüllt, das Ausscheiden des ersten deutschen Kaisers aus unserer Mitte.
Es ist dafür auch kein Bedürfnis; denn die Gefühle, die mich bewegen, sie leben
in dem Herzen eines jeden Deutschen; es hat deshalb keinen Zweck, sie aus-
zusprechen. Aber das eine glaube ich Ihnen doch nicht vorenthalten zu dürfen —
nicht von meinen Empfindungen, sondern von meinen Erlebnissen —, daß in-
mitten der schweren Schickungen, welche der von uns geschiedene Herr in seinem
Hause noch erlebt hat, es zwei Tatsachen waren, welche ihn mit Befriedigung und
Trost erfüllten. Die eine war die, daß die Leiden seines einzigen Sohnes und
Nachfolgers, unseres jetzigen regierenden Herrn, die ganze Welt — nicht nur
Deutschland, sondern alle Weltteile, kann man sagen — ich habe noch heute ein
Telegramm aus Neu Vork in dieser Beziehung erhalten —, mit einer Teil-
nahme erfüllt haben, die beweist, welches Vertrauen sich die Dynastie des deutschen
Kaiserhauses bei allen Nationen erworben hat. Es ist dies ein Erbteil, kann ich
wohl sagen, welches des Kaisers lange Regierung dem deutschen Volke hinterläßt.
Das Vertrauen, das die Dynastie erworben hat, wird sich auf die Nation über-
tragen trotz allem, was dagegen versucht wird. Die zweite Tatsache, in der