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Se. Majestät einen Trost in manchen schweren Schickungen empfand, war die, daß
der Kaiser auf die Entwicklung seiner Hauptlebensaufgabe, der Herstellung und
Konsolidierung der Nationalität des Volkes, dem er als deutscher Fürst angehört
hatte, — daß der Kaiser auf die Entwicklung, welche die Lösung dieser Aufgabe
inzwischen genommen hatte, mit einer Befriedigung zurückblickte, welche den Abend
seines Lebens verschönt und beleuchtet hat. Es trug dazu namentlich in den letzten
Wochen die Tatsache bei, daß mit einer seltenen Einstimmigkeit aller Dynastien,
aller verbündeten Regierungen, aller Stämme in Deutschland, aller Abteilungen
des Reichstages dasjenige beschlossen wurde, was für die Sicherstellung der Zu-
kunft des Deutschen Reiches auf jede Gefahr hin, die uns bedrohen könnte, als
Bedürfnis von den verbündeten Regierungen empfunden wurde). Diese Wahr-
nehmung hat Se. Majestät mit großem Troste erfüllt, und noch in der letzten
Beziehung, die ich zu meinem dahingeschiedenen Herrn gehabt habe — es war
gestern — hat er darauf Bezug genommen, wie ihn dieser Beweis der Einheit der
gesamten deutschen Nation, wie er durch die Volksvertretung hier verkündet
worden ist, gestärkt und erfreut hat. Ich glaube, meine Herren, es wird für Sie
alle erwünscht sein, dieses Zeugnis, das ich aus eigener Wahrnehmung für die
letzten Stimmungen unseres dahingeschiedenen Herrn ablegen kann, mit in Ihre
Heimat zu nehmen, weil jeder einzelne von Ihnen einen Anteil an dem Ver-
dienste hat, welches dem zugrunde liegt. Meine Herren, die heldenmütige Tapfer-
keit, das nationale hochgespannte Ehrgefühl und vor allen Dingen die treue, ar-
beitsame Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes und die Liebe zum Vater-
lande, die in unserem dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen sie ein
unzerstörbares Erbteil unserer Nation sein, welches der aus unserer Mitte ge-
schiedene Kaiser uns hinterlassen hat! Das hoffe ich zu Gott, daß dieses Erbteil
von allen, die wir an den Geschäften unseres Vaterlandes mitzuwirken haben,
in Krieg und in Frieden, in Heldenmut, in Hingebung, in Arbeitsamkeit, in
Pflichttreue treu bewahrt bleibe.
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Regierungsgrundsätze Kaiser Friedrichs II.
1888.
Quelle: Erlaß des Kaisers an den Fürsten Bismarck vom 12. März 1888.
Fundort: Gebhardt a. a. O. Bd. 2. S. 819 und 820.
Mein lieber Fürst!
Bei dem Antritt meiner Regierung ist es mir ein Bedürfnis, mich an Sie,
den langjährigen vielbewährten ersten Diener meines in Gott ruhenden Herrn Vaters
zu wenden. Sie sind der treue und mutvolle Ratgeber gewesen, der den Zielen
seiner Politik die Form gegeben und deren erfolgreiche Durchführung gesichert hat.
Ihnen bin ich und bleibt mein Haus zu warmem Dank verpflichtet.
Sie haben daher ein Recht, vor allem zu wissen, welches die Gesichtspunkte
sind, die für die Haltung meiner Regierung maßgebend sein sollen.
Die Verfassungs= und Rechtsanordnungen des Reiches und Preußens müssen
vor allem in der Ehrfurcht und in den Sitten der Nation sich befestigen. Es
1) Die Gesetze vom 11. und 20. Februar 1888 (vgl. S. 134. Anm. 2).