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Denken und Handeln erworben. Aber doch wieder in eigentümlicher Art. Ob—
gleich der Prinz in den Kreisen der Potsdamer Offiziere sich außerordentlich
wohl fühlte, beherrschten ihn keineswegs deren Ideen. Die Antipathie derselben
gegen die zur gleichberechtigten Rivalin sich enorarbeitenden Marine störte seine
früh erwachte Sympathie für diese so wenig, daß er es im Gegenteil unter-
nahm, seine Kameraden durch öffentliche Vorträge über die Flotte zu seinen
Anschauungen hinüberzuziehen. Mit lebhaftem Interesse, oft mit warmer Be-
geisterung pflegte er an dem Leben und Streben der Kreise teilzunehmen, in
welche er während der verschiedenen Phasen seiner Entwicklung gestellt wurde, im
Gefühl der Solidität der eigenen Persönlichkeit von allem falschen Hochmut frei.
aber nie ist er ganz darin aufgegangen, immer hat er seine Selbständigkeit im
Empfinden und Urteilen bewahrt und bewiesen .. . Seine Natur ist im eigent—
lichsten Sinne des Wortes eine souveräne, da das Wesen der Souveränität in der
Unabhängigkeit von jeder fremden Gewalt, Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung.
liegt. Diese aber haben sich bei ihm vorwaltend gezeigt nicht nur negativ in der
Abwehr fremder Gewalt über das eigene Wesen, sondern ebenso positiv bei dem
Entfalten der eigenen Individualität und dem Gestalten des eigenen Lebens.
Durch eine Verletzung bei der Geburt, welche eine unheilbare Schwäche des
linken Armes zur Folge gehabt, war seiner physischen und psychischen Entwicklung
ein ganz eigentümliches Hindernis bereitet, welches zu beseitigen alle Kunst und
Sorgfalt unfähig bleiben mußten, wenn nicht das Kind schon in ungewöhnlicher
Energie des Willens dabei mitwirkte. Es galt, das natürliche Gefühl körperlicher
Unbeholfenheit und der damit unvermeidlich verbundenen Zagheit zu überwinden.
Es war für ihn eine eminente moralische Leistung, ein ausgezeichneter Schütze,
Schwimmer und Reiter, der kühne, unerschrockene Mann zu werden, der jetzt für
den nicht unwahrscheinlichen Fall eines Attentates vor allem den einen Wunsch
hegt, daß ihm noch genug Kraft bleibe, um den Mörder zu packen und ab-
zustrafen. — Nie ist in die preußische Armee ein junger Mann eingetreten, der
physisch so wenig geeignet erschienen, ein brillanter und schneidiger Reiteroffizier
zu werden, als der junge Prinz Wilhelm. Als er es aber geworden war, als er
sein Husarenregiment seinem scharf kritisierenden Großvater vorgestellt und von
seinem als kavalleristische Autorität so gefürchteten Onkel das bezeichnende, fast
einer Abbitte gleichlautende Lob geerntet: „Du hast es gut gemacht! Ich hätte es
nie geglaubt!“ da hatte er sich durch redliche, das gewöhnliche Maß weit über-
steigende Arbeit an sich selbst den Anspruch auf eine über sein Alter hinaus-
gehende gebietende Stellung erworben, da er sich selbst zu gebieten, sich selbst zu
heben, eine natürliche Schwäche zu einer Quelle von Kraft und Energie zu ver-
wandeln verstanden. Die wenigen, die damals die Bedeutung der Leistung, dieses
Sieges der moralischen Kraft über körperliche Schwäche ermessen konnten, fühlten
sich seit der Zeit zu den stolzesten Hoffnungen auf diese Persönlichkeit berechtigt.
Und in ähnlicher Weise ist es charakteristisch für seine ganze Entwicklung ge-
wesen, daß er in unbeirrbarer Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung aus allem,
was ihm widerfuhr an Glück oder Unglück, Gutem oder Bösem, Schönem oder
Häßlichem, zu nehmen suchte, was Klarheit und Bestimmtheit, Maß und Gleich-
gewicht, Kraft und Klugheit in ihm fördern und entwickeln konnten. Der Anblick
des Kulturkampfes mit seinen trübseligen Folgen stärkte seinen natürlichen Sinn
für Billigkeit und religiöse Duldsamkeit. Eine genauere persönliche Einsicht in die
harte und hoffnungsarme Existenz der Arbeiterbevölkerung wie der reflektierende