Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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Denken und Handeln erworben. Aber doch wieder in eigentümlicher Art. Ob— 
gleich der Prinz in den Kreisen der Potsdamer Offiziere sich außerordentlich 
wohl fühlte, beherrschten ihn keineswegs deren Ideen. Die Antipathie derselben 
gegen die zur gleichberechtigten Rivalin sich enorarbeitenden Marine störte seine 
früh erwachte Sympathie für diese so wenig, daß er es im Gegenteil unter- 
nahm, seine Kameraden durch öffentliche Vorträge über die Flotte zu seinen 
Anschauungen hinüberzuziehen. Mit lebhaftem Interesse, oft mit warmer Be- 
geisterung pflegte er an dem Leben und Streben der Kreise teilzunehmen, in 
welche er während der verschiedenen Phasen seiner Entwicklung gestellt wurde, im 
Gefühl der Solidität der eigenen Persönlichkeit von allem falschen Hochmut frei. 
aber nie ist er ganz darin aufgegangen, immer hat er seine Selbständigkeit im 
Empfinden und Urteilen bewahrt und bewiesen .. . Seine Natur ist im eigent— 
lichsten Sinne des Wortes eine souveräne, da das Wesen der Souveränität in der 
Unabhängigkeit von jeder fremden Gewalt, Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung. 
liegt. Diese aber haben sich bei ihm vorwaltend gezeigt nicht nur negativ in der 
Abwehr fremder Gewalt über das eigene Wesen, sondern ebenso positiv bei dem 
Entfalten der eigenen Individualität und dem Gestalten des eigenen Lebens. 
Durch eine Verletzung bei der Geburt, welche eine unheilbare Schwäche des 
linken Armes zur Folge gehabt, war seiner physischen und psychischen Entwicklung 
ein ganz eigentümliches Hindernis bereitet, welches zu beseitigen alle Kunst und 
Sorgfalt unfähig bleiben mußten, wenn nicht das Kind schon in ungewöhnlicher 
Energie des Willens dabei mitwirkte. Es galt, das natürliche Gefühl körperlicher 
Unbeholfenheit und der damit unvermeidlich verbundenen Zagheit zu überwinden. 
Es war für ihn eine eminente moralische Leistung, ein ausgezeichneter Schütze, 
Schwimmer und Reiter, der kühne, unerschrockene Mann zu werden, der jetzt für 
den nicht unwahrscheinlichen Fall eines Attentates vor allem den einen Wunsch 
hegt, daß ihm noch genug Kraft bleibe, um den Mörder zu packen und ab- 
zustrafen. — Nie ist in die preußische Armee ein junger Mann eingetreten, der 
physisch so wenig geeignet erschienen, ein brillanter und schneidiger Reiteroffizier 
zu werden, als der junge Prinz Wilhelm. Als er es aber geworden war, als er 
sein Husarenregiment seinem scharf kritisierenden Großvater vorgestellt und von 
seinem als kavalleristische Autorität so gefürchteten Onkel das bezeichnende, fast 
einer Abbitte gleichlautende Lob geerntet: „Du hast es gut gemacht! Ich hätte es 
nie geglaubt!“ da hatte er sich durch redliche, das gewöhnliche Maß weit über- 
steigende Arbeit an sich selbst den Anspruch auf eine über sein Alter hinaus- 
gehende gebietende Stellung erworben, da er sich selbst zu gebieten, sich selbst zu 
heben, eine natürliche Schwäche zu einer Quelle von Kraft und Energie zu ver- 
wandeln verstanden. Die wenigen, die damals die Bedeutung der Leistung, dieses 
Sieges der moralischen Kraft über körperliche Schwäche ermessen konnten, fühlten 
sich seit der Zeit zu den stolzesten Hoffnungen auf diese Persönlichkeit berechtigt. 
Und in ähnlicher Weise ist es charakteristisch für seine ganze Entwicklung ge- 
wesen, daß er in unbeirrbarer Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung aus allem, 
was ihm widerfuhr an Glück oder Unglück, Gutem oder Bösem, Schönem oder 
Häßlichem, zu nehmen suchte, was Klarheit und Bestimmtheit, Maß und Gleich- 
gewicht, Kraft und Klugheit in ihm fördern und entwickeln konnten. Der Anblick 
des Kulturkampfes mit seinen trübseligen Folgen stärkte seinen natürlichen Sinn 
für Billigkeit und religiöse Duldsamkeit. Eine genauere persönliche Einsicht in die 
harte und hoffnungsarme Existenz der Arbeiterbevölkerung wie der reflektierende
	        
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