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des Auslandes gewonnen hat. Daß auch mir dies gelinge, steht bei Gott; er—
streben will ich es in ernster Arbeit.
Die wichtigsten Aufgaben des Deutschen Kaisers liegen auf dem Gebiete der
militärischen und politischen Sicherstellung des Reiches nach außen und im Innern
in der Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze. Das oberste dieser Gesetze
bildet die Reichsverfassung; sie zu wahren und zu schirmen in allen Rechten, die
sie den beiden gesetzgebenden Körpern der Nation und jedem Deutschen, aber auch
in denen, welche sie dem Kaiser und jedem der verbündeten Staaten und deren
Landesherren verbürgt, gehört zu den vornehmsten Rechten und Pflichten des
Kaisers.
An der Gesetzgebung des Reiches habe ich nach der Verfassung mehr in
meiner Eigenschaft als König von Preußen, wie in der des Deutschen Kaisers
mitzuwirken; aber in beiden wird es mein Bestreben sein, das Werk der Reichs-
gesetzgebung in dem gleichen Sinne fortzuführen, wie mein hochseliger Herr Groß-
vater es begonnen hat. Insbesondere eigne ich mir die von ihm am 17. November
1881 erlassene Botschaft1) ihrem vollen Umfange nach an und werde im Sinne
derselben fortfahren, dahin zu wirken, daß die Reichsgesetzgebung für die arbeitende
Bevölkerung auch ferner den Schutz erstrebe, den sie im Anschluß an die Grund-
sätze der christlichen Sittenlehre den Schwachen und Bedrängten im Kampfe ums
Dasein gewähren kann. Ich hoffe, daß es gelingen werde, auf diesem Wege der
Ausgleichung ungesunder gesellschaftlicher Gegensätze näher zu kommen, und hege
die Zuversicht, daß ich zur Pflege unserer inneren Wohlfahrt die einhellige Unter-
stützung aller treuen Anhänger des Reiches und der verbündeten Regierungen
finden werde ohne Trennung nach gesonderter Parteistellung. «
Ebenso aber halte ich für geboten, unsere staatliche und gesellschaftliche Ent-
wicklung in den Bahnen der Gesetzlichkeit zu erhalten und allen Bestrebungen,
welche den Zweck und die Wirkung haben, die staatliche Ordnung zu unter-
graben, mit Festigkeit entgegenzutreten.
In der auswärtigen Politik bin ich entschlossen, Frieden zu halten mit jeder-
mann, soviel an mir liegt. Meine Liebe zum deutschen Heere und meine Stellung
zu demselben werden mich niemals in Versuchung führen, dem Lande die Wohl-
taten des Friedens zu verkümmern, wenn der Krieg nicht eine durch den Angriff
auf das Reich oder dessen Verbündete uns aufgedrungene Notwendigkeit ist. Unser
Heer soll uns den Frieden sichern und, wenn er uns dennoch gebrochen wird,
imstande sein, ihn mit Ehren zu erkämpfen. Das wird es mit Gottes Hilfe ver-
mögen nach der Stärke, die es durch das von Ihnen einmütig beschlossene jüngste
Wehrgesetz:) erhalten hat. Diese Stärke zu Angriffskriegen zu benutzen, liegt mir
fern. Deutschland bedarf weder neuen Kriegsruhms, noch irgendwelcher Eroberungen,
nachdem es sich die Berechtigung, als einige und unabhängige Nation zu bestehen,
endgültig erkämpft hat.
Unser Bündnis mit Osterreich-Ungarn ist öffentlich bekannt; ich halte an dem-
selben in deutscher Treue fest, nicht bloß, weil es geschlossen ist, sondern weil ich
in diesem defensiven Bunde eine Grundlage des europäischen Gleichgewichts er-
blicke, sowie ein Vermächtnis der deutschen Geschichte, dessen Inhalt heute von der
öffentlichen Meinung des gesamten deutschen Volkes getragen wird und dem her-
kömmlichen europäischen Völkerrechte entspricht, wie es bis 1866 in unbestrittener
1) Vgl. Nr. 72. — 2) Vgl. S. 134. Anm. 2.
W. u O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch, III. 10