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Neu ist auch unser Handel nicht; war doch die Hansa in alten Zeiten eine der
gewaltigsten Unternehmungen, welche je die Welt gesehen, und es vermochten einst
die deutschen Städte Flotten aufzustellen, wie sie bis dahin der breite Meeres-
rücken wohl kaum getragen hatte. Sie verfiel aber und mußte verfallen, weil die
eine Bedingung fehlte, nämlich die des kaiserlichen Schutzes. Jetzt ist es anders
geworden; die erste Vorbedingung: das Deutsche Reich, ist geschaffen; die zweite
Vorbedingung: der deutsche Handel, blüht und entwickelt sich, und er kann sich nur
gedeihlich und sicher entwickeln, wenn er unter der Reichsgewalt sich sicher fühlt.
Reichsgewalt bedeutet Seegewalt, und Seegewalt und Reichsgewalt bedingen sich
gegenseitig so, daß die eine ohne die andere nicht bestehen kann.
Als ein Zeichen der Reichs= und Seegewalt wird nun das durch Deine
Division verstärkte Geschwader aufzutreten haben mit allen Kameraden der
fremden Flotten draußen im innigen Verkehr und guter Freundschaft zu festem
Schutz der heimischen Interessen gegen jeden, der den Deutschen zu nahe treten
will. Das ist Dein Beruf und Deine Aufgabe.
Möge einem jeden Europäer draußen, dem deutschen Kaufmann draußen, und
vor allen Dingen dem Fremden draußen, auf dessen Boden wir sind, oder mit dem
wir zu tun haben werden, klar sein, daß der deutsche Michel seinen mit dem.
Reichsadler geschmückten Schild fest auf den Boden gestellt hat, um dem, der ihn
um Schutz angeht, ein für allemal diesen Schutz zu gewähren, und mögen unsere
Landsleute draußen die feste Überzeugung haben, seien sie Priester oder seien sie
Kaufleute, oder welchem Gewerbe sie obliegen, daß der Schutz des Deutschen
Reiches, bedingt durch die kaiserlichen Schiffe, ihnen nachhaltig gewährt werden
wird. Sollte es aber je irgend einer unternehmen, uns an unserem guten Recht
zu kränken oder schädigen zu wollen, dann fahre darein mit gepanzerter Faust!
und, so Gott will, flicht Dir den Lorbeer um Deine junge Stirn, den niemand
4. Quelle: Reichstagsrede des Staatssekretärs Grafen Bülow
am 11. Dezember 1899.
Fundort: Wilhelm von Massow a. a. O. Bd. 1. S. 98—100.
In unserem 19. Jahrhundert hat England sein Kolonialreich, das größte
Reich, das die Welt seit den Tagen der Römer gesehen hat, weiter und immer
weiter ausgedehnt, haben die Franzosen in Nordafrika und Ostafrika festen Fuß
gefaßt und sich in Hinterindien ein neues Reich geschaffen, hat Rußland in Asien
seinen gewaltigen Siegeslauf begonnen, der es bis zum Hochplateau des Pamir
und an die Küsten des Stillen Ozeans geführt hat. Vor vier Jahren hat der
chinesisch-zapanische Krieg, vor kaum anderthalb Jahren der spanisch-amerikanische
Krieg die Dinge weiter ins Rollen gebracht, große, tiefeinschneidende, weit-
reichende Entscheidungen herbeigeführt, alte Reiche erschüttert, neue und ernste
Fermente der Gärung in die Entwicklung getragen. Niemand kann übersehen,
welche Konsequenzen der Krieg haben wird, der seit einigen Wochen Südafrika in
Flammen setzt. #
Der englische Premierminister hatte schon vor längerer Zeit gesagt, daß die
starken Staaten immer stärker, und die schwachen immer schwächer werden würden.
Alles, was seitdem geschehen ist, beweist die Richtigkeit dieses Wortes. Stehen
wir wieder vor einer neuen Teilung der Erde, wie sie vor gerade hundert Jahren
dem Dichter vorschwebte? Ich glaube das nicht; ich möchte es namentlich noch