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nicht glauben. Aber jedenfalls können wir nicht dulden, daß irgendeine fremde
Macht, daß irgendein fremder Jupiter zu uns sagt: Was tun? die Welt ist weg-
gegeben. Wir wollen keiner fremden Macht zu nahe treten; wir wollen uns aber
auch von keiner fremden Macht auf die Füße treten lassen, und wir wollen uns
von keiner fremden Macht beiseite schieben lassen weder in politischer, noch in wirt-
schaftlicher Beziehung. Es ist Zeit, es ist hohe Zeit, daß wir gegenüber der seit
zwei Jahren wesentlich veränderten Weltlage, im Hinblick auf die inzwischen er-
heblich modifizierten Zukunftsaussichten uns klar werden über die Haltung, die wir
einzunehmen haben gegenüber den Vorgängen, die sich um uns herum abspielen
und vorbereiten, und welche die Keime in sich tragen für die künftige Gestaltung
der Machtverhältnisse für vielleicht unabsehbare Zeit. Untätig beiseite stehen, wie
wir das früher oft getan haben, entweder aus angeborener Bescheidenheit, oder
weil wir ganz absorbiert waren durch unsere inneren Zwistigkeiten, oder aus
Doktrinarismus — träumend beiseite stehen, während andere Leute sich in den
Kuchen teilen, das können wir nicht und wollen wir nicht. Wir können das nicht
aus dem einfachen Grunde, weil wir jetzt Interessen haben in allen Weltteilen,
wie dies schon während der zweiten Lesung der Flottenvorlage von dem Herrn
Abgeordneten Freiherrn v. Hertling, von dem verehrten Herrn Abgeordneten
Dr Lieber hervorgehoben worden ist und von Herrn von Bennigsen, den wir
leider nicht mehr an seinem Platze sehen. Die rapide Zunahme unserer Be-
völkerung, der beispiellose Aufschwung unserer Industrie, die Tüchtigkeit unserer
Kaufleute, kurz die gewaltige Vitalität des deutschen Volkes haben uns in die
Weltwirtschaft verflochten und in die Weltpolitik hineingezogen. Wenn die Eng-
länder von einer Greater Britain reden, wenn die Franzosen sprechen von einer
Nouvelle France, wenn die Russen sich Asien erschließen, haben auch wir An-
spruch auf ein größeres Deutschland, nicht im Sinne der Eroberung, wohl aber
im Sinne der friedlichen Ausdehnung unseres Handels und seiner Stützpunkte.
Ihre Heiterkeit, meine Herren von der Linken, macht mich nicht einen Augenblick
irre. Wir können nicht dulden und wollen nicht dulden, daß man zur Tages-
ordnung übergeht über das deutsche Volk. Ich freue mich sagen zu können, daß
das bisher im großen und ganzen von allen Seiten anerkannt wird.
5. Quelle: Ansprache des Kaisers am 3. Juli 1900 in Wilhelmshaven:).
Fundort: Johs. Penzler a. a. O. Bd. 2. S. 208.
Eure Königliche Hoheit haben sich überzeugen können, wie mächtig der Wellen-
schlag des Ozeans an unseres Volkes Tore klopft und es zwingt, als ein großes
Volk seinen Platz in der Welt zu behaupten, mit einem Wort: zur Weltpolitik.
Der Ozean ist unentbehrlich für Deutschlands Größe. Aber der Ozean be-
weist auch, daß auf ihm in der Ferne, jenseit von ihm, ohne Deutschland und
ohne den Deutschen Kaiser keine große Entscheidung mehr fallen darf.
Ich bin nicht der Meinung, daß unser deutsches Volk vor dreißig Jahren
unter der Führung seiner Fürsten gesiegt und geblutet hat, um sich bei großen
auswärtigen Entscheidungen beiseite schieben zu lassen. Geschähe das, so wäre es
ein für allemal mit der Weltmachtstellung des deutschen Volkes vorbei, und ich bin
1) Die Ansprache ist an den Prinzen Rupprecht von Bayern, den bekannten Heer-
führer im Weltkriege, gerichtet, der kurz vorher die Taufe des neuen Linienschiffes „Wittels-
bach“ vollzogen hatte. Die Schärfe erklärt sich wohl aus den derzeitigen Vorgängen in
China (vgl. Nr. 98).