Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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104. 
Deutschland und Frankreich. 
Quelle: Fürst Bülow, Deutsche Politik. Berlin 1914. S. 35, 36, 42 und 43. 
Die Unversöhnlichkeit Frankreichs ist ein Faktor, den wir in unsere politischen 
Berechnungen einstellen müssen. Es scheint mir schwächlich, die Hoffnung zu 
nähren, Frankreich wirklich und aufrichtig versöhnen zu können, solange wir nicht 
die Absicht haben, Elsaß-Lothringen wieder herauszugeben. Und diese Absicht ist in 
Deutschland nicht vorhanden. Gewiß gibt es eine Menge Einzelfragen, wo wir 
Hand in Hand mit Frankreich gehen und namentlich zeitweise mit ihm zusammen- 
gehen können. Wir müssen immer bestrebt bleiben, höfliche, ruhige und friedliche 
Beziehungen zu Frankreich aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus sollten wir aber 
keinen Phantasmen nachjagen; sonst könnte es uns gehen, wie dem Astronomen 
bei Lafontaine, der, während er nach den Sternen blickte, in das Loch fiel, das 
vor seinen Füßen lag, und das er nicht gesehen hatte. Das Loch heißt in diesem 
Falle Le trou des Vosges. Wir sollten uns auch Frankreich gegenüber von Auf- 
merksamkeiten und Liebenswürdigkeiten, der petite monnaie des internationalen 
Verkehrs, nicht allzuviel versprechen. Das auszusprechen, heißt dem stolzen 
Patriotismus eines großen Volkes ein Lob spenden. Der Groll gegen Deutsch- 
land sitzt zu tief in den französischen Herzen, ols daß wir ihn durch billige Freund- 
schaftsbezeigungen beseitigen könnten. Niemals ist Frankreich, auch nicht nach den 
katastrophalen Niederlagen der Jahre 1812—1815, so hart getroffen worden wie 
durch den Krieg von 1870/71. Für die Tatsache, daß uns Deutschen nationale 
Notwendigkeit gewesen ist, was den Franzosen als brutale Härte des Siegers er- 
scheint, finden wir in Frankreich kein Verständnis. Vielleicht wird sich das fran- 
zösische Volk im Laufe der Zeit den Bestimmungen des Frankfurter Friedens 
fügen, wenn es erkennen muß, daß sie unabänderlich sind. Solange Frankreich 
aber eine Möglichkeit zu erkennen glaubt, durch eigene Kraft oder fremde Hilfe 
Elsaß-Lothringen wieder an sich zu bringen, wird es im gegenwärtigen Zustande 
ein Provisorium, nicht ein Definitivum sehen 
Deos letzte Ziel des französischen Strebens wird menschlichem Ermessen nach 
noch auf lange hinaus das sein, die heute noch fehlenden Voraussetzungen für eine 
aussichtsreiche Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reiche zu schaffen 
Wiewohl es bemüht ist, militärisch den Nachteil auszugleichen, in den es durch 
seine geringere Bevölkerungszahl uns gegenüber versetzt ist, hat es doch nicht mehr 
das alte Zutrauen allein in die eigene Kraft. Die französische Politik sucht durch 
Bündnisse und Freundschaften ein Gleichgewicht oder womöglich ein Übergewicht 
gegen den deutschen Nachbarn zu gewinnen. Frankreich hat sich zu diesem Zweck 
eines Teiles der eigenen freien Initiative begeben müssen und ist abhängiger als 
früher von fremden Mächten geworden. Das ist den Franzosen natürlich bekannt 
und bewußt. Daß der reizbare französische Nationalstolz sich mit dieser Tatsache 
absindet, zeigt, welches der alles beherrschende nationale Wunsch des französischen 
Volkes ist. Es ist kaum eine internationale Konstellation denkbar, die Frankreich 
veranlassen könnte, seine von der Erinnerung an 1870 inspirierte Politik einer 
grundsätzlichen Korrektur zu unterziehen. 
Als wie in ganz Europa, auch in Frankreich die Wogen der Buren- 
begeisterung hochgingen, fragte ein englischer Minister nicht ohne Besorgnis einen
	        
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