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jeden Anlaß zu Mißverständnissen zwischen beiden Mächten in bezug auf Fragen
zu beseitigen, die ihre Interessen auf dem asiatischen Kontinent berühren. Wegen
Persiens haben die russische und die großbritannische Regierung — die sich gegen—
seitig verpflichtet haben, die Unabhängigkeit und Integrität dieses Landes zu
achten, und die aufrichtig die Aufrechterhaltung der Ruhe in diesem Lande und
ebenso die dauernde Einführung von Vorteilen für den Handel und die Industrie
aller übrigen Völker wünschen — sich gegenseitig verpflichtet, irgendwelche Kon—
zessionen politischer oder kommerzieller Natur weder für sich selbst nachzusuchen,
noch zugunsten ihrer Untertanen oder der Untertanen dritter Mächte zu befür-
worten, und zwar Rußland nicht jenseit einer Linie, die von Kasri über Chirin
nach Ispahan, Jesdi und Hakk geht und bei dem Schnittpunkte der Grenzen
Persiens, Rußlands und Afghanistans endet, und Großbritannien nicht jenseit einer
Linie, die von der afghanistanischen Grenze beginnt, über Ghasik, Birdzand und
Kerman geht und in Bender-Abbas endigt. Die vertragschließenden Teile werden
keinen Einspruch dagegen erheben, daß ihren respektiven Untertanen in den
zwischen den genannten Linien liegenden Gebieten Konzessionen erteilt werden.
.. Wegen Abghanistan erklärt die englische Regierung, nicht die Absicht zu haben,
die politischen Verhältnisse dieses Landes zu ändern; sie werde ihren Einfluß nur
in friedlichem Sinne geltend machen und Afghanistan nicht zu Maßregeln er-
mutigen, die für Rußland bedrohlich wären, und verpflichtet sich ebenso, keinen
Teil Afghanistans an sich zu reißen oder zu besetzen oder sich in seine innere Ver-
waltung einzumischen. Die kaiserlich russische Regierung erklärt, daß sie Afghanistan
als außerhalb ihrer Einflußsphäre befindlich anerkenne. Beide Regierungen er-
klären, in Afghanistan den Grundsatz der Behandlungsgleichheit in bezug auf den
Handel anzuerkennen; in Tibet erkennen beide Regierungen die souveränen Rechte
Chinas über Tibet an und verpflichten sich, seine territoriale Integrität zu
respektieren, sich jeder Einmischung in seine innere Verwaltung zu enthalten, sowie
keine diplomatischen Vertreter nach Lhassa zu entsenden
3. Quelle: Brief des englischen Ministers Grey an den französischen
Botschafter Cambon vom 22. November 1912.
Fundort: Englisches Blaubuch. Anlage 1 zu Nr. 105.
. . Sie haben auseinandergesetzt, daß es, im Falle eine der beiden Re-
gierungen dringenden Anlaß hätte, einen unprovozierten Angriff einer dritten
Macht zu erwarten, wesentlich sein könnte, zu wissen, ob sie sich in diesem Falle
auf die bewaffnete Hilfe der anderen verlassen könne. Ich bin einverstanden, daß,
wenn eine der beiden Regierungen dringenden Anlaß hätte, einen unprovozierten
Angriff durch eine dritte Macht zu erwarten, oder etwas, was den allgemeinen
Frieden bedrohen würde, sie sofort mit der anderen in eine Erörterung eintreten
soll, ob beide Regierungen gemeinsam handeln sollen, um den Angriff zu ver-
hüten und den Frieden zu bewahren, und wenn ja, was für gemeinsame Maß-
nahmen sie ergreifen sollen. Falls diese Maßnahmen eine Aktion einbegreifen, so
sollen die Pläne der Generalstäbe augenblicklich in Betracht gezogen werden, und
die Regierungen werden dann darüber entscheiden, wie weit sie in Wirksamkeit
treten sollen