Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

— 189 — 
112. 
Deutschlands gerechte Sache. 
Quelle: Reichstagsrede des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg 
am 4. August 1914. 
Fundort: Kriegsdepeschen. Bd. 1. S. 21—24. 
Ein gewaltiges Schicksal bricht über Europa herein. Da wir für unser 
Deutsches Reich das Ansehen in der Welt erkämpften, haben wir 44 Jahre lang 
in Frieden gelebt und den Frieden Europas beschirmt. In friedlicher Arbeit sind 
wir stark und mächtig geworden und darum beneidet. Mit zäher Geduld haben 
wir es ertragen, wie unter dem Vorwande, daß Deutschland kriegslüstern sei, 
in Ost und West Feindschaften genährt und Fesseln gegen uns geschmiedet wurden. 
Der Wind, der da gesät wurde, geht jetzt als Sturm auf. Wir wollten in friedlicher 
Arbeit weiterleben, und wie ein unausgesprochenes Gelübde ging es vom Kaiser 
bis zum jüngsten Soldaten: „Nur zur Verteidigung einer gerechten Sache soll 
unser Schwert aus der Scheide fliegen.“ Der Tag, da wir es ziehen müssen, ist 
erschienen, gegen unseren Willen, gegen unser redliches Bemühen. Rußland hat 
die Brandfackel an das Haus gelegt. Wir stehen in einem gezwungenen Kriege 
mit Rußland und Frankreich. Meine Herren! Eine Reihe von Schriftstücken, 
zusammengestellt in dem Drange der sich überstürzenden Ereignisse, ist Ihnen zu- 
gegangent). Lassen Sie mich die Tatsachen herausheben, die unsere Haltung kenn- 
zeichnen. Vom ersten Augenblick des österreichischen Konflikts an strebten wir, 
wirkten wir dahin, daß dieser Handel auf Osterreich-Ungarn und Serbien be- 
schränkt bleiben müsse. Alle Kabinette, insonderheit auch Englands, vertreten den- 
selben Standpunkt; nur Rußland erklärt, daß es bei der Austragung dieses Kon- 
fliktes mitreden müsse. Damit erhebt die Gefahr europäischer Verwicklungen ihr 
drohendes Haupt. Sobald die ersten bestimmten Nachrichten über militärische 
Rüstungen in Rußland zu uns dringen, lassen wir in Petersburg freundschaftlich, 
aber nachdrücklich erklären, daß kriegerische Maßnahmen und militärische Vor- 
bereitungen gegen uns selbst uns zu Gegenmaßregeln zwingen würden. Mobil- 
machung aber sei nahe dem Kriege. Rußland beteuert uns in freundlicher Weise, 
daß es keine militärischen Vorbereitungen gegen uns treffe. Inzwischen sucht 
England zwischen Wien und Petersburg zu vermitteln, wobei es von uns warm 
unterstützt wird. Am 28. Juli bittet der Kaiser telegraphisch den Zaren, er möge 
bedenken, daß Osterreich-Ungarn das Recht und die Pflicht habe, sich gegen die 
großserbischen Umtriebe zu wehren, die seine Existenz zu unterhöhlen drohten! 
Der Kaiser weist den Zaren auf die solidarischen monarchischen Interessen gegen- 
über der Freveltat von Serajewo hin. Er bittet ihn, ihn persönlich zu unter- 
stützen, um den Gegensatz zwischen Wien und Petersburg auszugleichen. Ungefähr 
zu derselben Stunde, als dies Telegramm empfangen wurde, bittet der Zar seiner- 
seits den Kaiser um seine Hilfe, er möge doch in Wien zur Mäßigung raten. 
Der Kaiser übernimmt die Vermittlerrolle; aber kaum ist die von ihm angeordnete 
Aktion im Gange, so mobilisiert Rußland alle seine Streitkräfte gegen Osterreich- 
Ungarn. Osterreich-Ungarn selbst hatte aber nur seine Armeekorps, die unmittel- 
bar gegen Serbien gerichtet waren, mobilisiert und im Norden nur zwei Armee- 
korps und fern von der russischen Grenze. Der Kaiser weist sofort den Zaren 
1) Das Weißbuch (vgl. S. 183. Anm. 1).
	        
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