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politischen Ententegenossen den Lebensnerv seines größten europäischen Kon—
kurrenten auf dem Weltmarkte zu zerstören. (Lebhafte Zustimmung.) So trägt
England mit Rußland zusammen — über Rußland habe ich mich am 4. August
ausgesprochen — vor Gott und der Menschheit die Verantwortung für diese
Katastrophe, die über Europa, die über die Menschheit hereingebrochen ist.
Die belgische Neutralität, die England zu schützen vorgab, ist Maske. (Zustim-
mung.) Am 2. August, abends 7 Uhr, teilten wir in Brüssel mit, die uns bekannten
Kriegspläne Frankreichs zwängen uns, um unserer Selbsterhaltung willen durch
Belgien zu marschieren. (Sehr wahr!) Aber schon am Nachmittag dieses 2. August,
also bevor in London das Geringste von unserem Schritt in Brüssel bekannt
war oder nur bekannt sein konnte, hatte die englische Regierung Frankreich
Unterstützung zugesagt und zwar bedingungslos zugesagt für den Fall eines
Angriffes der deutschen Flotte auf die französische Küste. (Hört, hört!) Von der
belgischen Neutralität war dabei mit keinem Wort die Rede. (Hört, hört!) Nicht
um Belgiens Neutralität willen, die es selbst mit untergraben hatte, hat uns
England den Krieg erklärt, sondern weil es glaubte, zusammen mit den zwei
großen Militärmächten des Festlandes unser Herr werden zu können. (Wiederholtes
lebhaftes Sehr richtigl)
Meine Herren! Als ich vor fünf Jahren auf diesen Platz berusen wurde,
stand dem Dreibund festgefügt die Tripelentente.1) gegenüber, ein Werk Englands,
bestimmt, dem bekannten Grundsatz der balance of power2:) zu dienen, das heißt
ins Deutsche übertragen: der seit Jahrhunderten befolgte Grundsatz englischer
Politik, sich gegen die stärkste Macht des Kontinents zu wenden, sollte in der
Tripelentente sein stärkstes Werkzeug finden. Darin lag von vornherein der
aggressive Charakter der Tripelentente gegenüber den rein defensiven Tendenzen
des Dreibundes; darin lag der Keim zu gewaltsamer Explosion . Und als nun
der Krieg ausgebrochen ist, läßt England jeden Schein fallen. Laut und offen
erklärt es, England will kämpfen, bis Deutschland niedergerungen ist, wirtschaftlich
und militärisch. Panfslawistischer Dertschenhaß stimmt jubelnd zu. Frankreich hofft
mit der ganzen Kraft seiner alten soldatischen Nation, die Scharte von 1870 aus-
zuwetzen. Darauf haben wir an unsere Feinde nur die eine Antwort: Deutsch-
land läßt sich nicht vernichten. (Lebhaftes, wiederholt sich erneuerndes Sehr richtig )
Wir halten durch, bis wir Sicherheit haben, daß keiner mehr wagen wird, unseren
Frieden zu stören, einen Frieden, in dem wir deutsches Wesen und deutsche
Kraft entfalten und entwickeln wollen — als freies Volk. (Ungeheurer, jubelnder
Beifall im ganzen Hause und auf den Tribünen. Stürmisches Händeklatschen, das sich
immer erneuert. Die Beifallskundgebungen dauern minutenlang.)
116.
Die Eroberung Lüttichs.
7. August 1914.
1. Quelle: Meldung des Generalquartiermeisters von Stein vom
10. August 1914.
Fundort: Kriegsdepeschen. Bd. 1. S. 40 und 41.
Französische Nachrichten haben unser Volk beunruhigt. Es sollen 20000
Deutsche vor Lüttich gefallen und der Platz überhaupt noch nicht in unserem Besitz
1) Der Dreiverband England, Rußland und Frankreich.
2) Das Gleichgewicht der Mächte.
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