Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

— 202 — 
Dorfes Grabnick ein, an dessen Ostausgang die deutschen Geschütze donnerten, 
während die Infanterie bei lebhaftem Gewehr- und Maschinengewehrfeuer im 
fortschreitenden Angriffe gegen Wosczellen lag. Mit gespannter Aufmerksamkeit 
verfolgte der allerhöchste Kriegsherr, an dessen Aufstellungsorte die Kaiserstandarte 
gehißt war, die einzelnen Phasen des Kampfes bis zur einbrechenden Dunkelheit. 
Leichter Regen rieselte vom Himmel — die strenge Kälte der letzten Tage hatte 
sich in Tauwetter verwandelt —, als der Feuerkampf allmählich einschlie 
Am Morgen des 14. Februar wurde der Kampf um die See-Engen bei Lyck so 
lange fortgesetzt, bis diese vom Feinde geräumt wurden. Seine Mojestät hatte 
schon am Morgen, diesmal östlich Grabnick, Aufstellung .. Auf die Meldung, daß 
Lyck genommen sei, eilte der Kaiser nach dieser Stadt vor, in welche gerade die 
siegreichen Truppen (hanseatische und mecklenburgische Landwehr, sowie die 
33er Füsiliere) von Westen her einmarschierten. Während diese Truppen an ihrem 
Kaiser vorbeizogen, betraten auch von Süden her deutsche Soldaten die befreite 
Stadt. Es waren die Truppen der Generale von Falck und von Butlar. Die 
Stadt Lyck war mit durchziehenden und sich sammelnden Truppen aller Waffen 
angefüllt, deutsche Soldaten noch im Begriff, die Häuser nach versprengten Russen 
abzusuchen und schwarz-weiß-rote Fahnen zum Zeichen des Sieges auszuhängen, 
als auf dem Marktplatze Seine Moajestät eintraf, um dessen Person sich die 
Truppen formierten. Als der Kaiser den Kraftwagen verließ, wurde er mit drei 
donnernden Hurras begrüßt. Die Soldaten umringten und umjubelten ihn und 
stimmten dann die Lieder „Heil Dir im Siegerkranz“ und „Deutschland, Deutsch- 
land über alles“ an. Es war eine tiefergreifende welthistorische Szene. Die Größe 
des Augenblickes kam allen zum Bewußtsein; die Truppe schien alle ausgehaltenen 
Strapazen gänzlich vergessen zu haben. Hinter den Reihen der um ihren Kaiser 
gescharten Soldaten standen Hunderte von russischen Gefangenen mit ihren 
phantastischen vielgestalteten Kopfbedeckungen und ebenso verschiedenen Gesichts- 
zügen, die Völkerstämme ganz Asiens repräsentierend. Der Kaiser kommandierte 
nun „Stillgestanden“ und hielt eine kurze, markige Ansprache an seine lautlos ihn 
umstehenden Soldaten. Hinter dem Kaiser ragte als Ruine die ziegelrote, im 
Ordensstil erbaute Kirche auf, deren mächtiger Kirchturm völlig ausgebrannt und 
deren Dachstuhl zerstört war. Die Häuserreihen rechts und links Seiner Mojestät 
waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt; verkohlende Balken ragten gen 
Himmel. Inmitten dieses Bildes der Zerstörung war nur eines erhalten geblieben: 
das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Feldzuges 1870/71, geschmückt mit 
dem Friedensengel und dem Eisernen Kreuz. 
Nachdem der Kaiser seine Ansprache beendet hatte, zog er noch verschiedene, 
mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse geschmückte Offiziere ins Gespräch. Dann richtete 
er anerkennende Worte an das Füsilier-Regiment Nr. 33, ein ostpreußisches 
Regiment, das sich in diesem Kriege ganz besonders ausgezeichnet und auch schon 
große Verluste ertragen hat. Zwischen den Häuserreihen der zerschossenen Stadt 
mit ihren ausgeplünderten Läden hindurcheilend, fuhr dann Seine Majestät noch 
nach Sybba weiter, wo er Teile seines pommerschen Grenadier-Regiments be- 
grüßte, auf welche Ansprache der Kommandeur Graf Rantzau dankend erwiderte. 
Die verfolgenden Truppen gelangten an diesem Tage noch über Lyck hinaus. Am 
15. Februar war kein Russe mehr auf deutschem Boden. Ostpreußen war vom 
Feinde befreit.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.