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Dorfes Grabnick ein, an dessen Ostausgang die deutschen Geschütze donnerten,
während die Infanterie bei lebhaftem Gewehr- und Maschinengewehrfeuer im
fortschreitenden Angriffe gegen Wosczellen lag. Mit gespannter Aufmerksamkeit
verfolgte der allerhöchste Kriegsherr, an dessen Aufstellungsorte die Kaiserstandarte
gehißt war, die einzelnen Phasen des Kampfes bis zur einbrechenden Dunkelheit.
Leichter Regen rieselte vom Himmel — die strenge Kälte der letzten Tage hatte
sich in Tauwetter verwandelt —, als der Feuerkampf allmählich einschlie
Am Morgen des 14. Februar wurde der Kampf um die See-Engen bei Lyck so
lange fortgesetzt, bis diese vom Feinde geräumt wurden. Seine Mojestät hatte
schon am Morgen, diesmal östlich Grabnick, Aufstellung .. Auf die Meldung, daß
Lyck genommen sei, eilte der Kaiser nach dieser Stadt vor, in welche gerade die
siegreichen Truppen (hanseatische und mecklenburgische Landwehr, sowie die
33er Füsiliere) von Westen her einmarschierten. Während diese Truppen an ihrem
Kaiser vorbeizogen, betraten auch von Süden her deutsche Soldaten die befreite
Stadt. Es waren die Truppen der Generale von Falck und von Butlar. Die
Stadt Lyck war mit durchziehenden und sich sammelnden Truppen aller Waffen
angefüllt, deutsche Soldaten noch im Begriff, die Häuser nach versprengten Russen
abzusuchen und schwarz-weiß-rote Fahnen zum Zeichen des Sieges auszuhängen,
als auf dem Marktplatze Seine Moajestät eintraf, um dessen Person sich die
Truppen formierten. Als der Kaiser den Kraftwagen verließ, wurde er mit drei
donnernden Hurras begrüßt. Die Soldaten umringten und umjubelten ihn und
stimmten dann die Lieder „Heil Dir im Siegerkranz“ und „Deutschland, Deutsch-
land über alles“ an. Es war eine tiefergreifende welthistorische Szene. Die Größe
des Augenblickes kam allen zum Bewußtsein; die Truppe schien alle ausgehaltenen
Strapazen gänzlich vergessen zu haben. Hinter den Reihen der um ihren Kaiser
gescharten Soldaten standen Hunderte von russischen Gefangenen mit ihren
phantastischen vielgestalteten Kopfbedeckungen und ebenso verschiedenen Gesichts-
zügen, die Völkerstämme ganz Asiens repräsentierend. Der Kaiser kommandierte
nun „Stillgestanden“ und hielt eine kurze, markige Ansprache an seine lautlos ihn
umstehenden Soldaten. Hinter dem Kaiser ragte als Ruine die ziegelrote, im
Ordensstil erbaute Kirche auf, deren mächtiger Kirchturm völlig ausgebrannt und
deren Dachstuhl zerstört war. Die Häuserreihen rechts und links Seiner Mojestät
waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt; verkohlende Balken ragten gen
Himmel. Inmitten dieses Bildes der Zerstörung war nur eines erhalten geblieben:
das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Feldzuges 1870/71, geschmückt mit
dem Friedensengel und dem Eisernen Kreuz.
Nachdem der Kaiser seine Ansprache beendet hatte, zog er noch verschiedene,
mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse geschmückte Offiziere ins Gespräch. Dann richtete
er anerkennende Worte an das Füsilier-Regiment Nr. 33, ein ostpreußisches
Regiment, das sich in diesem Kriege ganz besonders ausgezeichnet und auch schon
große Verluste ertragen hat. Zwischen den Häuserreihen der zerschossenen Stadt
mit ihren ausgeplünderten Läden hindurcheilend, fuhr dann Seine Majestät noch
nach Sybba weiter, wo er Teile seines pommerschen Grenadier-Regiments be-
grüßte, auf welche Ansprache der Kommandeur Graf Rantzau dankend erwiderte.
Die verfolgenden Truppen gelangten an diesem Tage noch über Lyck hinaus. Am
15. Februar war kein Russe mehr auf deutschem Boden. Ostpreußen war vom
Feinde befreit.