— 206 —
122.
Der Wiederaufbau Ostpreußens.
Quelle: Bericht des Abgeordneten Freiherrn von Zedlitz und Neukirch in
der 114. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 24. Juni 1915.
Fundort: Paul Burg, Ostpreußen. Leiozig 1916. S. 122—137.
Die Größe und die Schwere der Heimsuchung Ostpreußens durch den Krieg
veranschaulichen am besten folgende Zahlen: Getotet oder schwer verwundet sind
im ganzen gegen 2000 Personen; von den Russen fortgeschleppt sind rund 10700
Personen — darunter nahezu die Hälfte Frauen und Kinder —; 24 Städte,
nahezu 600 Dörfer, 250 Güter sind ganz oder zum großen Teil zerstört worden;
die Zahl der zerstörten Gebäude beträgt rund 33000; zu ihrem Wiederaufban
werden nach sachverständiger Schätzung rund 300 Millionen Mark notwendig
werden; die Zahl der ausgeraubten Wohnungen beträgt 100000; von den 111
Domänen, die die Provinz Ostpreußen zählt, sind nicht weniger als 81 ganz oder
zum Teil verwüstet worden; der an den Domänen angerichtete Schaden beläuft
sich in runder Summe auf 25 Millionen Mark
Nach den Erklärungen der preußischen Staatsregierung wird diese dafür
sorgen und hält es für ihre Pflicht, den Ostpreußen volle Entschädigung für die
durch den Krieg ihnen erwachsenen besonderen Schäden zu gewähren).
Was den Wiederaufbau der zerstörten Ortschaften und Baulichkeiten anlangt,
so hat es sich zunächst darum gehandelt, vorläufig Unterkunft für Menschen und
Tiere zu schaffen, die Möglichkeit für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe zur
wirtschaftlichen Betätigung zu gewähren. Das ist soweit wie möglich geschehen,
soweit wie möglich, ohne vorübergehende Bauausführungen zu machen, die im
Interesse der Kostenersparnis möglichst zu vermeiden sind. Zugleich aber ist der
definitive Aufbau nach allen Richtungen möglichst vorbereitet worden: nach der
technischen Seite durch die Einrichtung einer Hauptberatungsstelle bei dem Ober-
präsidium, durch Einrichtung einer Reihe von technischen Beratungsstellen in den
Kreisen — 12—15 sind es — die, mit einem erfahrenen Privatarchitekten besetzt,
den Baulustigen und den Kommunen mit Rat und Tat beim Wiederaufbau an die
Hand gehen sollen. Es ist nach der finanziellen Seite dadurch gesorgt, daß den
Baulustigen, welche ihre Wohn= und Wirtschaftsgebäude wieder aufbauen wollen,
die nötigen finanziellen Beihilfen gewährt werden
Was ferner die Flüchtlinge anlangt — deren Zahl auf etwa 350—400000
geschätzt wird — so ist mit großer Befriedigung zu berichten, daß, nachdem
militärischerseits auch in den letzten von den Russen geräumten Kreisen be-
dingungsweise die Rückkehr der Flüchtlinge gestattet worden ist, sich in den Monaten
April und Mai ein überaus starker Rückstrom von Flüchtlingen eingestellt hat.
Die Zahl derjenigen, die in diesen beiden Monaten aus der Ferne in ihre Heimat-
provinz zurückgekehrt sind, wird von dem Flüchtlingskommissar, dem Landes-
hauptmann, auf etwa 200000 geschätzt. Noch immer dauert, wenn auch in ge-
ringerem Maße, der Rückstrom der Flüchtlinge an. Die beteiligten Behörden und
der genannte Kommissar haben wiederholt die Überzeugung ausgesprochen, daß
der größte Teil der Flüchtlinge nach ihrer Heimatprovinz zurückgekehrt ist oder
1) Kaiser Wilhelm sagte in Lötzen: „Ich weiß mich mit jedem Deutschen eins, wenn
ich gelobe, daß das, was Menschenkraft vermag, geschehen wird, um neues Leben aus
den Ruinen entstehen zu lassen.“