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realpolitischen Standpunkte aus, der von allen moralischen Reflexionen absieht,
war auch nur so gesehen, dieser Krieg notwendig? Ist er nicht vielmehr geradezu
sinnlos? (Stürmische Zustimmung.) Niemand bedrohte Italien, weder Osterreich-
Ungarn, noch Deutschland. Ob die Tripleentente es bei Lockungen hat bewenden
lassen, das werden die Geschichtschreiber einmal festzustellen haben. (Lebhaftes Sehr
gut!) Ohne einen Tropfen Blut, ohne das Leben eines einzigen Italieners zu
gefährden, konnte Italien die lange Liste der Konzessionen haben, die ich Ihnen
neulich verlesen habe: Land in Tirol, Land am Isonzo, soweit die italienische
Zunge klingt, Befriedigung nationaler Wünsche in Triest, freie Hand in Albanien,
den wertvollen Hafen Valona. Warum haben die Herren Salandra und Sonnino
das nicht genommen? Wollten sie etwa auch das deutsche Tirol erobern? (Mit
erhobener Stimme:) Hände weg, meine Herren! (Stürmischer Beifall.) Oder will sich
Italien an Deutschland reiben, an dem Lande, dem es doch bei seinem Aufschwung
zur Großmacht so manches zu verdanken hat? (Lebhafte Zustimmung.) An dem
Lande, von dem es durch keinerlei Interessengegensätze getrennt ist? Wir haben
in Rom keinen Zweifel darüber gelassen, daß der italienische Angriff auf öster-
reichisch-ungarische Truppen auch deutsche Truppen treffen wird. (Lebhafter Beifall.)
Weshalb hat nun also Rom auf die weitgehenden Anerbietungen so leicht ver-
zichtet? Das italienische Grünbuch ist ein Dokument, das schlechtes Gewissen hinter
hohlen Phrasen verbirgt .. .. .
Schon im Dezember lagen Anzeichen für eine Schwenkung des römischen
Kabinetts vor. Zwei Eisen im Feuer zu haben, ist ja immer nützlich, und Italien
hatte uns auch früher schon seine Vorliebe für Extratouren gezeigt. Aber hier
war kein Tanzsaal, hier war die blutige Walstatt, auf der Osterreich-Ungarn und
Deutschland für ihr Leben fechten. (Stürmische Zustimmung.)
Und dasselbe Spiel wie gegen uns, haben die römischen Staatsmänner auch
gegen das eigene Volk gespielt. Gewiß, das Land italienischer Zunge an der
Nordgrenze war von jeher ein Traum und Wunsch, innig begehrt von italienischen
Herzen. Aber doch ist dieser Krieg ein Kabinettskrieg. Denn das italienische Volk
in seiner großen Mehrheit wollte nichts vom Kriege wissen, und auch die Mehr-
heit des Parlaments wollte es nicht. (Hört, hört!) Noch im Mai haben die besten
Kenner der italienischen Verhältnisse feststellen können, daß etwa vier Fünftel
des Senats und drei Viertel der Kammer gegen den Krieg waren. (Lebhaftes Hört,
hört!) und darunter die ganz festen und gewichtigsten Staatsmänner der ganzen
letzten italienischen Epoche. Aber die Vernunft kam nicht mehr zu Worte. E3
herrschte allein die Straße, und die Straße war unter der wohlmeinenden Duldung
und Förderung der leitenden Männer des italienischen Kabinetts (Lebhaftes Sehr
gut!), bearbeitet von dem Golde der Tripleentente (Stürmische Zustimmung)
und unter der Führung gewissenloser Kriegshetzer in einen solchen Blutrausch ver-
setzt, daß sie dem Könige Revolution und allen Gemäßigten, die sich noch ein
nüchternes Urteil bewahrt hatten, Überfall und Mord androhte, wenn sie nicht in
die Kriegstrompete mit einstießen. Über den Gang der österreichischen Verhand-
lungen, über das Maß der österreichischen Konzessionen wurde das Volk geflissentlich
im Dunkel gehalten. So kam es, daß in den entscheidenden Debatten über
die Kriegsvollmachten kein Redner der konstitutionellen Parteien des Senats oder
der Kammer den Wert der weitgehenden österreichischen Konzessionen für die
nationalen Wünsche des italienischen Volkes zu würdigen auch nur versucht hat.
In dem allgemeinen Kriegstaumel trieben die leitenden Politiker zum Sturm.