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getan, Hindernis, Pfähle und Drahtgewirr so weggeräumt hat, daß das Vorgehen
der französischen Infanterie nur ein Spaziergang sein wird, wie es die Vor—
gesetzten den französischen Soldaten in ihren Ansprachen dargestellt haben.
Jedoch anders, als die französischen Führer wohl gedacht haben, spielt sich das
Vorfühlen der Erkundungsabteilungen ab: die deutschen Beobachter haben gut
acht gegeben. Ihr wohlgezieltes Feuer, stellenweise, dort, wo stärkere Abteilungen
vorgingen, auch das Feuer größerer Teile der Grabenbesatzung, schlägt den
spähenden Franzosen entgegen. Noch ist der Deutsche also auf seinem Posten;
noch ist er nicht „kaput“, wie der Franzose schon gejubelt hat; er lebt und wehrt
sich seiner Haut.
Die bisherige Wirkung der Artillerie ist also noch zu gering gewesen. Selbst
das 48stündige Trommelfeuer hat noch nicht genügt, die Spannkraft des Deutschen
zu brechen. Immer noch ist er der achtunggebietende, gefürchtete Gegner.
Von neuem setzt also die Arbeit der Tausende von Geschützen ein; von neuem
werden die gesamten Stellungen mit einem Hagel von Geschossen überschüttet;
von neuem wird die Widerstandsfähigkeit der Nerven der deutschen Soldaten
auf die Probe gestellt. Ganz besonders nachdrücklich wendet sich die französische
Artillerie jetzt den Stellen zu, von denen den vorschleichenden Patrouillen das
heftigste Abwehrfeuer entgegengeschlagen ist. Soll doch möglichst alles Leben erst
in den deutschen Gräben vernichtet werden, bevor Joffre seine Soldaten zum
Sturm gegen die feindlichen Linien vorschickt.
Und so vergehen noch einmal 24 Stunden. Der 25. September bricht an.
72 Stunden liegt nun schon das Höllenfeuer auf den deutschen Stellungen
Aber noch hat die Erlösungsstunde nicht geschlagen . . 7 Uhr vormittags
ist es, als das feindliche Feuer plötzlich zu einer Stärke anschwillt, die vordem
außerhalb des menschlichen Vorstellungsvermögens gelegen hat. Es ist, als ob
sich die Zahl der feindlichen Batterien mit einem Schlage verdoppelt, verdrei-
facht hätte, als ob die Geschütze dort drüben nicht mehr von Menschenhand be-
dient würden. Das Ohr ist jetzt nicht mehr fähig, die verschiedenen Eindrücke zu
unterscheiden. Ein Laut, ein einziger, dröhnender, nicht endender Laut erfüllt die
Luft, liegt über den Stellungen, ohne auszuklingen
10 Uhr ist es, da wird es in den dichten, vorgelagerten Rauch= und Staub-
wolken plötzlich lebendig. Die Nebelschwaden nehmen feste Formen, feste Gestalt
an. Menschen formen sich.
Endlich naht er sich also, der Feind; endlich stellt sich der langersehnte, lang-
erwartete Gegner zum ehrlichen Kampf, Mann gegen Mann. Drei, vier und mehr
Glieder tief, in Massen, die das menschliche Auffassungsvermögen in der kurzen
Zeit gar nicht in sich aufzunehmen vermag, schiebt es sich heran. Überall, soweit
das Auge blickt, ein einziges, wogendes Meer der Tausende und Abertausende in
die langen, hellblauen Mäntel gehüllten Gestalten, die jetzt langsam im Schritt
wie eine einzige endlose Mauer gegen die deutschen Stellungen vorrücken.
„Sie kommen, sie kommen!“ Ein einziger, die endliche Erfüllung lang an-
dauernden Ausharrens verkündeter Schrei in den deutschen Linien von Aubeérive
bis Servon, von der Suippes bis zur Aisne!
Und nun stürzen sie herauf aus ihren Unterständen, die Männer, denen die
Hut des deutschen Walles in der Champagne anvertraut ist. Aus den Erdhöhlen
kommen sie hervor, in denen sie mehr als drei Tage und drei Nächte ausgeharrt