Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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getan, Hindernis, Pfähle und Drahtgewirr so weggeräumt hat, daß das Vorgehen 
der französischen Infanterie nur ein Spaziergang sein wird, wie es die Vor— 
gesetzten den französischen Soldaten in ihren Ansprachen dargestellt haben. 
Jedoch anders, als die französischen Führer wohl gedacht haben, spielt sich das 
Vorfühlen der Erkundungsabteilungen ab: die deutschen Beobachter haben gut 
acht gegeben. Ihr wohlgezieltes Feuer, stellenweise, dort, wo stärkere Abteilungen 
vorgingen, auch das Feuer größerer Teile der Grabenbesatzung, schlägt den 
spähenden Franzosen entgegen. Noch ist der Deutsche also auf seinem Posten; 
noch ist er nicht „kaput“, wie der Franzose schon gejubelt hat; er lebt und wehrt 
sich seiner Haut. 
Die bisherige Wirkung der Artillerie ist also noch zu gering gewesen. Selbst 
das 48stündige Trommelfeuer hat noch nicht genügt, die Spannkraft des Deutschen 
zu brechen. Immer noch ist er der achtunggebietende, gefürchtete Gegner. 
Von neuem setzt also die Arbeit der Tausende von Geschützen ein; von neuem 
werden die gesamten Stellungen mit einem Hagel von Geschossen überschüttet; 
von neuem wird die Widerstandsfähigkeit der Nerven der deutschen Soldaten 
auf die Probe gestellt. Ganz besonders nachdrücklich wendet sich die französische 
Artillerie jetzt den Stellen zu, von denen den vorschleichenden Patrouillen das 
heftigste Abwehrfeuer entgegengeschlagen ist. Soll doch möglichst alles Leben erst 
in den deutschen Gräben vernichtet werden, bevor Joffre seine Soldaten zum 
Sturm gegen die feindlichen Linien vorschickt. 
Und so vergehen noch einmal 24 Stunden. Der 25. September bricht an. 
72 Stunden liegt nun schon das Höllenfeuer auf den deutschen Stellungen 
Aber noch hat die Erlösungsstunde nicht geschlagen . . 7 Uhr vormittags 
ist es, als das feindliche Feuer plötzlich zu einer Stärke anschwillt, die vordem 
außerhalb des menschlichen Vorstellungsvermögens gelegen hat. Es ist, als ob 
sich die Zahl der feindlichen Batterien mit einem Schlage verdoppelt, verdrei- 
facht hätte, als ob die Geschütze dort drüben nicht mehr von Menschenhand be- 
dient würden. Das Ohr ist jetzt nicht mehr fähig, die verschiedenen Eindrücke zu 
unterscheiden. Ein Laut, ein einziger, dröhnender, nicht endender Laut erfüllt die 
Luft, liegt über den Stellungen, ohne auszuklingen 
10 Uhr ist es, da wird es in den dichten, vorgelagerten Rauch= und Staub- 
wolken plötzlich lebendig. Die Nebelschwaden nehmen feste Formen, feste Gestalt 
an. Menschen formen sich. 
Endlich naht er sich also, der Feind; endlich stellt sich der langersehnte, lang- 
erwartete Gegner zum ehrlichen Kampf, Mann gegen Mann. Drei, vier und mehr 
Glieder tief, in Massen, die das menschliche Auffassungsvermögen in der kurzen 
Zeit gar nicht in sich aufzunehmen vermag, schiebt es sich heran. Überall, soweit 
das Auge blickt, ein einziges, wogendes Meer der Tausende und Abertausende in 
die langen, hellblauen Mäntel gehüllten Gestalten, die jetzt langsam im Schritt 
wie eine einzige endlose Mauer gegen die deutschen Stellungen vorrücken. 
„Sie kommen, sie kommen!“ Ein einziger, die endliche Erfüllung lang an- 
dauernden Ausharrens verkündeter Schrei in den deutschen Linien von Aubeérive 
bis Servon, von der Suippes bis zur Aisne! 
Und nun stürzen sie herauf aus ihren Unterständen, die Männer, denen die 
Hut des deutschen Walles in der Champagne anvertraut ist. Aus den Erdhöhlen 
kommen sie hervor, in denen sie mehr als drei Tage und drei Nächte ausgeharrt
	        
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