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11.
Die Eröffnung der Bahnlinie Nürnberg—Fürth.
7. Dezember 1835.
Quelle: Bericht des Stuttgarter Morgenblattes.
Fundort: Friedrich Schulze, Die ersten deutschen Eisenbahnen Nürnberg—Fürth und Leipzig—Dresden.
Leipzig o. J. S. 18—22.
Am 7. Dezember morgens um 9 Uhr fand die feierliche Eröffnung der
Ludwigseisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth auf dem eingehegten Platze statt,
welcher zu dem Verwaltungslokale der Eisenbahngesellschaft gehört.
Schon um 7 Uhr machte sich Nürnberg zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen auf
den Weg, um zur rechten Zeit an Ort und Stelle zu sein. Gegen 8 Uhr waren
bereits die meisten Aktionäre und Direktoren, sowie die zu der Feierlichkeit ein-
geladenen Gäste von nah und fern versammelt. Man betrachtete lange Zeit den
soliden Bau der Bahn, die zum Teil elegant gebauten Passagierwagen, neun an
der Zahl; aber die freudigste und nicht zu erschöpfende Aufmerksamkeit widmete
man dem Dampfwagen selbst, an welchem jeder so viel Ungewöhnliches, Rätsel-
haftes zu bemerken hat, den aber in seiner speziellen Struktur nach äußerem An-
sehen selbst ein Kenner nicht zu enträtseln vermag.
Auf den Achsen von Vorder= und Hinterrädern wie ein anderer Wagen
ruhend, hat er mitten zwischen diesen zwei größere Räder, und diese sind es,
welche von der Maschine eigentlich in Bewegung gesetzt werden. Wie? läßt sich
zwar ahnen, aber nicht sehen. Zwischen den Vorderrädern erhebt sich, wie aus
einem verschlossenen Rauchfang, eine Säule von ungefähr 15 Fuß Höhe, aus
welcher der Dampf sich entladet. Zwischen den Vorder= und Mittelrädern erstreckt
sich ein gewaltiger Zylinder nach den Hinterrädern, wo der Herd und Dampf-
kessel sich befindet, welcher von einem zweiten, vierräderigen, angehängten Wagen
aus mit Wasser gespeist wird. Dieser hintere Wagen nämlich, auf welchem der
Platz für das Brennmaterial ist, hat auch einen Wasserbehälter, aus welchem
Schläuche das Wasser in die Kanäle des eigentlichen Dampfwagens leiten. Außer-
dem bemerkt man eine Anzahl von Röhren, Hähnen, Schrauben, Ventilen, Federn,
die alle wahrzunehmen mehr Zeit erfordert als uns vergönnt war. bberdies
nahm das ruhige, umsichtige, Zutrauen erweckende Benehmen des englischen
Wagenlenkers uns ebenso in Anspruch. Wer möchte in einem solchen Mann nicht
den ganzen Unterschied der modernen und der alten, wie der mittleren Zeit
personifiziert erblicken! Jedes körperliche Geschick, welches gleichwohl nicht fehlen
darf, tritt bei ihm in den Hintergrund, in den Dienst der verständigen Beachtung
auch des Kleinsten als eines für das Ganze Wichtigen. Jede Schaufel Stein-
kohlen, die er nachlegte, brachte er mit Erwägung des rechten Maßes, des rechten
Zeitpunktes, der gehörigen Verteilung auf den Herd. Keinen Augenblick müßig,
auf alles achtend, die Minute berechnend, da er den Wagen in Bewegung zu
setzen habe, erschien er als der regierende Geist der Maschine und der in ihr zu
der ungeheuren Kraftwirkung vereinigten Elemente.
Als der Dampf sich stark zu entwickeln begann, regnete es aus der sich augen-
blicklich bildenden Wolke durch die etwas rauhe Morgenluft auf uns herab; ja, der
Gegensatz der glühenden Dämpfe und der Atmosphäre machte, daß zugleich ein
Hagelstaub niederfiel. — Unter diesen und ähnlichen Wahrnehmungen verstrich die
Zeit. Die Landwehrmusik verkündigte den Beginn der Feierlichkeit. Auf einer
W. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch. III. 2