— 42 —
prädestiniert ist, und glaubt deshalb, auch ohne Preußen und gegen Preußen,
gestützt auf die Majorität der übrigen Bundesstaaten, Deutschland im Fahrwasser
der Wiener Politik erhalten zu können
Auch auf dem Schauplatz der europäischen Politik ist der Weg der gütlichen
Verständigung und der Bewerbung um die Sympathien Preußens nicht mehr
derjenige, auf welchem Osterreich sich der Unterstützung der norddeutschen Groß-
macht zu versichern bestrebt ist. Selbst in solchen Fragen, wo sein Interesse
unbeteiligt oder gar mit dem preußischen identisch war, hat es keine Anstrengungen
gescheut, um das Ansehen Preußens zu beeinträchtigen und seiner Politik Hem-
mungen zu bereiten. Die Teilnahme Preußens an der Pariser Konferenz, bei
welcher es sich der Hauptsache nach nur um einen Ehrenpunkt handelte, wurde
von keiner Macht eifriger hintertrieben, als von Osterreich, um durch den Aus-
sch9 uß Preußens aus dem Rate der Großmächte das preußische Ansehen in den
Augen Deutschlands herabzudrücken. In der Neuenburger Frage waren die Gegner
Preußens zugleich die natürlichen Feinde Osterreichs; aber der Wunsch, Preußen
nicht zur Entfaltung seiner Kriegsmacht in Süddeutschland und nicht zur be-
friedigenden Erledigung einer Ehrensache gelangen zu lassen, war in Wien stärker,
als die Abneigung gegen die Schweizer Demokratie und als die Sorge um deren
Einwirfung auf Italien
Wenn die Sachen so weitergehen wie in der letzten Zeit ..., so kann
der Moment nicht mehr fern sein, wo Preußen die Majorität der überschreitung
ihrer Befugnisse und die Majorität Preußen der Auflehnung gegen gültige Bundes-
beschlüsse anklagen wird, beide sich also gegenseitig des Bundesbruchs beschuldigen.
Preußen in diese Lage zu versetzen, ist vielleicht das Ziel der Politik seiner
Gegner Eine solche Situation, zumal wenn der Moment ihres Ein-
tretens nicht zu berechnen ist, kann jedenfalls unbequem genug werden, um zur
Anwendung von Vorbeugungsmitteln aufzufordern, insbesondere wenn diese
Mittel zugleich dahin führen, Preußens selbständiges Ansehen und seinen Einfluß
auf Deutschland zu kräftigen.
Preußen würde dadurch seinem deutschen Berufe keineswegs untreu werden,
es würde sich nur von dem Druck losmachen, mit dem die Fiktion seiner Gegner
auf ihm lastet, daß „Bundestag" und „Deutschland“ identische Begriffe seien, und
daß Preußens deutsche Gesinnungen nach dem Maße seiner Fügsamkeit unter die
Majorität der Bundesversammlung zu beurteilen seien. Seine deutschen Ge-
sinnungen unabhängig von der Bundesversammlung zu betätigen, hat kein Staat
in dem Maße den Beruf und die Gelegenheit wie Preußen, und es vermag dabei
zugleich den Beweis zu liefern, daß Preußen für die mittleren und kleineren
Staaten mehr Wichtigkeit hat als eine Majorität von neun Stimment) für
Preußen. Die preußischen Interessen fallen mit denen der meisten Bundes-
länder außer Osterreich vollständig zusammen, aber nicht mit denen der Bundes-
regierungend), und es gibt nichts Deutscheres als gerade die Entwickelung richtig
verstandener Partikularinteressen.
1) Im engeren Rat der Bundesversammlung, der 17 Stimmen umfaßte, bildeten
neun Stimmen die absolute Mehrheit. (Vergl. Nr. 2. Art. 4.)
2) Vgl. Nr. 31 und 36. B. 2. Quelle.