Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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meinen Erfahrungen und pflichtmäßiger Überzeugung. Ich werde fest daran halten 
und die Reorganisation mit aller Energie durchführen; denn ich weiß, daß sie 
zeitgemäß ist. Es ist auch eine Verleumdung, die geflissentlich verbreitet wird, 
daß die beschworene Verfassung gebrochen werden solle. Ich halte fest an meinem 
Eide, halte fest an meinem Programm von 1858, das mein Gewissen mir ge- 
botenu), die Auslegung des Programms kann aber doch nur der geben, der es 
aufgestellt, und es darf nichts von anderen hineingelegt werden, was nicht darin 
steht. Ich danke Ihnen noch einmal für die Unterstützung, die Sie mir und 
meinen ausgesprochenen Absichten schon dadurch leisten, daß Sie sich ermannt 
und gesammelt haben, den Angriffen gegenüber, deren Ziel die Schwächung des 
Königtums und des Thrones ist. Fahren Sie fort in Ihrer Treue und streben 
Sie danach, daß Ihre Gesinnung nicht auf die Kreise beschränkt bleibe, von 
denen sie hergesandt sind, sondern sich weiter über alle Stände des jetzt vielfach 
irre geleiteten Volkes verbreite; dann hoffe ich zu Gott, daß wir einer besseren 
Zukunft entgegensehen können. 
28. 
Bismarcks Berufung in das Ministerium. 
1862. 
Quelle: Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. 
Stuttgart 1898. Bd. 1. S. 266—269. 
In Paris erhielt ich folgendes Telegramm, dessen Unterschrift auf eine Ver- 
abredung beruhte: 
Berlin, le 18 Septembre. 
Periculum in mora2) Dépéchez-vous. 
L'’oncle de Maurice Henning. 
Henning war der zweite Vorname Moritz Blanckenburgss), des Neffen von 
Roon. Obwohl es die Fassung zweifelhaft ließ, ob die Aufforderung aus der 
eigenen Initiative Roons hervorgegangen oder von dem Könige veranlaßt war, 
zögerte ich nicht abzureisen. 
Am 20. September morgens in Berlin angelangt, wurde ich zu dem Kron- 
prinzen beschieden. Auf seine Frage, wie ich die Situation ansähe, konnte ich nur 
sehr zurückhaltend antworten, weil ich während der letzten Wochen keine deutschen 
Zeitungen gelesen und in einer Art von dépit mich über heimische Angelegen- 
heiten nicht informiert hatte. Meine Verstimmung hatte ihren Grund darin, daß 
der König mir in Aussicht gestellt hatte, mir in spätestens sechs Wochen Gewißheit 
über meine Zukunft, d. h. darüber zu geben, ob ich in Berlin, Paris oder London 
mein Domizil haben sollte, daß darüber aber schon ein Vierteljahr verflossen war 
und ich im Herbst noch immer nicht wußte, wo ich im Winter wohnen würde. 
Ich war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht so vertraut, daß ich dem 
Kronprinzen ein programmartiges Urteil hätte abgeben können; außerdem hielt 
1) Siehe Nr. 25. 
:2) Gefahr liegt im Verzuge. Das Telegramm kam von Roon, der unermüdlich Bis- 
marcks Berufung betrieb. Bismarck war damals Gesandter in Paris. 
5) Der konservative Abgeordnete Moritz Henning v. Blanckenburg, ein Neffe Roons, 
war Bismarcks Freund.
	        
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