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war, nicht mehr nur zu kritisieren, sondern selbst zu handeln und die amtliche
Verantwortung für das Bessermachen zu tragen. Sobald die Aufgaben beider
Herrschaften praktisch wurden, hatte der gesunde Verstand des Königs begonnen,
sich allmählich von der schlagfertigen weiblichen Beredsamkeit mehr zu eman-
ipieren.
“ Es gelang mir, ihn zu überzeugen, daß es sich für ihn nicht um konservativ
oder liberal in dieser oder jener Schattierung, sondern um königliches Regiment
oder Parlamentsherrschaft handele, und daß die letztere unbedingt und auch durch
eine Periode der Diktatur abzuwenden sei. Ich sagte: „In dieser Lage werde ich,
selbst wenn Eure Majestät mir Dinge befehlen sollten, die ich nicht für richtig
hielte, Ihnen zwar diese meine Meinung offen entwickeln, aber wenn Sie auf
der Ihrigen schließlich beharren, lieber mit dem Könige untergehen, als Eure
Majestät im Kampfe mit der Parlamentsherrschaft im Stiche lassen.“ Diese
Auffassung war damals durchaus lebendig und maßgebend in mir, weil ich die
Negation und die Phrase der damaligen Opposition für politisch verderblich hielt
im Angesicht der nationalen Aufgaben Preußens, und weil ich für Wilhelm I.
persönlich so starke Gefühle der Hingebung und Anhänglichkeit hegte, daß mir der
Gedanke, in Gemeinschaft mit ihm zugrunde zu gehen, als ein nach Umständen
natürlicher und sympathischer Abschluß des Lebens erschien.
Der König zerriß das Programm und war im Begriff, die Stücke von der
Brücke in die trockene Schlucht im Park zu werfen, als ich daran erinnerte, daß
diese Papiere mit der bekannten Handschrift in sehr unrechte Hände geraten
könnten. Er fand, daß ich recht hätte, steckte die Stücke in die Tasche, um sie
dem Feuer zu übergeben, und vollzog an demselben Tage meine Ernennung zum
Staatsminister und interimistischen Vorsitzenden des Staatsministeriums, die am
23. veröffentlicht wurde. Meine Ernennung zum Ministerpräsidenten behielt der
König vort), bis er mit dem Fürsten von Hohenzollern, der staatsrechtlich diese
Stellung noch inne hatte, die desfallsige Korrespondenz beendet haben werde.
29.
Bismarcks Stellung zu den großen Fragen seiner Zeit.
1859 und 1862.
1. Quelle: Schluß eines Briefes Bismarcks an den Minister von Schleinitz,
datiert Petersburg 12. Mai 1859.
Fundort: Ludwig Hahn, Fürst Bismarck. Berlin 1873 ff. Bd. 1. S. 52.
. . JIch sehe in unserem Bundesverhältnis ein Gebrechen Preußens, welches
wir früher oder später fexro et igni2) werden heilen müssen, wenn wir nicht bei-
zeiten in günstiger Jahreszeit eine Kur dagegen vornehmen. Wenn heute lediglich
der Bund aufgehoben würde, ohne daß man etwas an seine Stelle setzte, so
glaube ich, daß schon auf Grund dieser negativen Errungenschaft sich bald bessere
und natürlichere Beziehungen Preußens zu seinen deutschen Nachbarn ausbilden
würden als die bisherigen.
1) Die endgültige Ernennung zum Ministerpräsidenten und Minister der Auswärtigen
Angelegenheiten erfolgte am 8. Oktober 1862.
à) Mit Eisen und Feuer.
W. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch. III. 4