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zu bemerken, daß seine Regierung die Einberufung der Stände als ein Souve-
ränitätsrecht ansieht, welches unter den bestehenden Vertragsverhältnissen und
namentlich, nachdem die Bestimmungen der Gasteiner Ubereinkunft hinfällig ge-
worden, von den beiden Souveränen gemeinschaftlich hätte ausgeübt werden
müssen.
C. Preußische Bundesreform.
Quelle: Preußischer Entwurf zur Reform vom 10. Juni 1866.
Fundort: L. Hahn, Fürst Bismarck. Bd. 1. S. 447—449.
Art. 1. Das Bundesgebiet besteht aus denjenigen Staaten, welche bisher dem
Bunde angehört haben, mit Ausnahme der österreichischen und niederländischen
Landesteile.
Art. 2. Die gesetzgebende Gewalt des Bundes wird vom Bundestage in
Gemeinschaft mit einer in regelmäßigen Zeiträumen zu berufenden National-
vertretung ausgeübt. Zur Gültigkeit der Beschlüsse ist die Übereinstimmung der
Mehrheit des Bundestages mit der Mehrheit der Volksvertretung erforderlich und
ausreichend).
Art. 4. Die Nationalvertretung geht aus direkten Wahlen hervor, welche nach
den Bestimmungen des Reichswahlgesetzes vom 12. April 18492) vorzunehmen sind.
Art. 5. Die Bundesstaaten bilden ein gemeinsames und einheitliches Zoll-
und Handelsgebiet, in welchem die Errichtung von Freihäfen vorbehalten bleibt.
Art. 6. Der Gesetzgebung und Oberaufsicht der Bundesgewalt unterliegen die
nachstehenden Angelegenheiten: «
1. die Zoll- und Handelsgesetzgebung;
2. die Ordnung des Maß-, Münz- und Gewichtssystems nebst Feststellung der
Grundsätze über die Emission von fundiertem und unfundiertem Papiergelde;
3. die allgemeinen Bestimmungen über das Bankwesen;
4. die Erfindungspatente;
5. der Schutz des geistigen Eigentums;
6. die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimats= und Ansiedelungsverhält-
nisse, den Gewerbebetrieb, die Kolonisation und Auswanderung nach außer-
deutschen Ländern;
7. Organisation eines gemeinsamen Schutzes des deutschen Handels im Aus-
lande, der deutschen Schiffahrt und ihrer Flaggen zur See und Anordnung ge-
meinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Bunde ausgestattet wird;
8. das gesamte deutsche Eisenbahnwesen im Interesse der Landesverteidigung
und des allgemeinen Verkehrs;
9. der Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasser-
straßen, sowie die Fluß= und sonstigen Wasserzölle;
10. das Post= und Telegraphenwesen;
11. die gemeinsame Zivilprozeßordnung und das gemeinsame Konkursverfahren.
Art. 7. Die Bundesgewalt hat das Recht, Krieg zu erklären und Frieden,
sowie Bündnisse und Verträge zu schließen, in völkerrechtlicher Vertretung des
Bundes Gesandte zu ernennen und zu empfangen.
Die Kriegserklärung hat bei feindlicher Invasion des Bundesgebietes oder bei
kriegerischem Angriff auf seine Küsten unter allen Umständen zu erfolgen; in den
1) Val. Nr. 31. ) Vgl. Nr. 17.
W. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch. III. 5