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sandten, als in der Presse mitzuteilen. Ich stellte an Moltke einige Fragen in
bezug auf das Maß seines Vertrauens auf den Stand unserer Rüstungen,
respektive auf die Zeit, deren dieselben bei der überraschend aufgetauchten Kriegs-
gefahr noch bedürfen würden. Er antwortete, daß er, wenn Krieg werden sollte,
von einem Aufschub des Ausbruches keinen Vorteil für uns erwarte; selbst wenn
wir zunächst nicht stark genug sein sollten, sofort alle linksrheinischen Landesteile
gegen eine französische Invasion zu decken, so würde unsere Kriegsbereitschaft die
französische sehr bald überholen, während in einer späteren Periode dieser Vorteil
sich abschwächen würde; er halte den schnellen Ausbruch im ganzen für uns
vorteilhafter als eine Verschleppung. —
Der Haltung Frankreichs gegenüber zwang uns nach meiner Ansicht das
nationale Ehrgefühl zum Kriege, und wenn wir den Forderungen dieses Gefühls
nicht gerecht wurden, so verloren wir auf dem Wege zur Vollendung unserer
nationalen Entwicklung den ganzen 1866 gewonnenen Vorsprung, und das 1866
durch unsere militärischen Erfolge gesteigerte deutsche Nationalgefühl südlich des
Mains, wie es sich in der Bereitwilligkeit der Südstaaten zu den Bündnissen aus—
gefprochen hatte, mußte wieder erkalten. . . Die politischen Erwägungen in betreff
der süddeutschen Staaten fanden mutatis mutandis!) auch auf unsere Beziehungen
zu der Bevölkerung von Hannover, Hessen, Schleswig-Holstein Anwendung. Daß
diese Auffassung richtig war, beweist die Genugtuung, mit der heute, nach zwanzig
Jahren, nicht nur die Holsteiner, sondern auch die Hanseaten der 1870er Helden-
taten ihrer Söhne gedenken. Alle diese Erwägungen, bewußt und unbewußt, ver-
stärkten in mir die Empfindung, daß der Krieg nur auf Kosten unserer preußischen
Ehre und des nationalen Vertrauens auf dieselbe vermieden werden könne.
In dieser Überzeugung machte ich von der mir durch Abeken übermittelten
königlichen Ermächtigung Gebrauch, den Inhalt des Telegramms zu veröffentlichen,
und reduzierte in Gegenwart meiner beiden Tischgäste das Telegramm durch
Sirerhungen ohne ein Wort hinzuzusetzen oder zu ändern, auf die nachstehende
Fassung:
„Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohen-
zollern der kaiserlich französischen Regierung von der königlich spanischen amtlich
mitgeteilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an Se. Masjestät
den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisieren, daß er nach Paris
telegraphiere, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern
auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten. Se. Majestät der König hat es
darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und dem-
selben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß Se. Majestät dem Bot-
nehmen dürfe, noch könne. Natürlich sagte ich ihm, daß ich noch nichts erhalten hätte und,
da er über Paris und Madrid früher benachrichtigt sei als ich, er wohl einsähe, daß mein
Gouvernement wiederum außer Spiel sei.“ Se. Majestät hat seitdem ein Schreiben des
Fürsten bekommen. Da Se. Majestät dem Grafen Benedetti gesagt, daß er Nachricht vom
Fürsten erwarte, hat Allerhöchstderselbe mit Rücksicht auf die obige Zumutung auf des
Grafen Eulenburg und meinen Vortrag beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu
empfangen, sondern ihm nur durch einen Adjutanten sagen zu lassen: daß Se. Majestät
jetzt vom Fürsten die Bestätigung der Nachricht erhalten, die Benedetti aus Paris schon
gehabt, und dem Botschafter nichts weiter zu sagen habe. Se. Mazestät stellt Eurer Ex-
zellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedettis und ihre Zurückweisung sogleich
sowohl unseren Gesandten, als in der Presse mitgeteilt werden sollte.“
1) Mit den erforderlichen Abänderungen.
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