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Tal . aus dem Kirchturm schlagen die Flammen hoch gen Himmel und leuchten
weit hinaus ins Schlachtgefilde. Aber das Getöse will kein Ende nehmen. Es
naht ein anderer Zug. Da kommen sie als Gefangene, hundert-, tausendweise,
aus allen Waffengattungen, unsere armen geschlagenen, vor etlichen Tagen noch so
fröhlichen, siegesgewissen Soldaten! Da kommen sie, entwaffnet, zerrissen, staub-
bedeckt, niedergeschlagen, wie verurteilte Missetäter . umschlossen, gedrängt, ver-
höhnt von deutschen Truppen, die sie triumphierend ins Lager abführen. Ist78
möglich? Ganze Haufen Kanonen, Mitrailleusen, Wagen und sonstige Sieges-
beute . . Ganze Bataillone . . Welche Demütigung, welche Niederlage! .. und
für uns alle, welch wehmutsvoller Anblick, welch herzzerreißendes Schauspiel!
Da kommen sie! todesmüde von dem langen, schweren Kampfe, bleich vor
Schrecken, Gram und Verzweiflung, und Vorwärts! donnert's hinterdrein und:
Viktorial schallt's von allen Seiten. Spott und Verwünschung regnet's von
tausend Lippen. Und sie können und dürfen nicht zucken — sie sind ja ver-
nichtet . . Siehe, wie dort ein deutscher Reiter mit blankem Säbel gegen einen
französischen Offizier lossprengt und ihm seinen Degen aus der Scheide reißt, und
wie dem Gefangenen vor Schmerz und Schmach die Tränen über die Wangen
rollen! wie dort einem Turko, der keuchend, sterbensmüde sich dahinschleppt, die
Kolbenstöße auf den Rücken fallen! Wie so manches Schimpfwort, so manche
Roheit den geschlagenen Feind in die Gefangenschaft begleiten! Ach, so etwas
vergißt man zeitlebens nimmer # ja, jal das ist ein Tränenzug; wir sehen ihn,
und auch unsere Tränen fließen; so mancher winkt mit nassen Augen ein dank-
bares Lebewohl zu unseren Fenstern herüber, und wir können ihm nichts mehr
mitgeben als einen Seufzer voll Mitleid Und seht, wie dort auf der Bahre ein
Verwundeter so kläglich wimmert! — Sie möchten ihn von einer Seite der
Straße zur anderen tragen, wo die Arzte an Menschenleibern blutig hantieren, —
aber sie kommen nicht durchs Gedränge; denn durch solche Siegeszüge darf auch
ein Verschmachtender keine Lücke brechen. Er soll zuschauen und . sterben
und stirbt, sein letztes Wehgeheul verhallt im Freudenjubel, und sein letzter Blick
bricht über der Schmach seines Vaterlandes und seiner gefangenen Brüder. Das
ist der Krieg! das ist der Krieg, nicht wie oft krankhafte Phantasie ihn träumt,
das ist der Krieg in seiner wahren, entsetzlichen Gestalt.
Aber die vielen Gefangenen! . immer wieder neue Transporte . Wir
begreifen es endlich. Sie haben unser Dorf mit Sturm genommen. Sie haben
unser Heer unter eiserner Umarmung zusammengedrückt, und die Tore der Flucht den
Großenwald hinab waren zu enge. Fahret wohl, ihr tapferen, schmachbedeckten
Zeugen einer ruhmvollen Vergangenheit! Das Glücksrad ist zerbrochen. Fahret wohl,
ihr unglücklichen Opfer napoleonischer und nationaler Missetat! Die Stunde der
Vergeltung ist gekommen!
54.
Der Todesritt der Brigade Bredow in der Schlacht bei Vionville.
« 16. August 1870.
Quelle: Bericht des Grafen Schmettow, Kommandeurs der Halberstädter
Kürassiere.
Fundort: Halberstädter Intelligenzblatt. Jahrgang 1870. Nr. 169.
Kantonnement Etain, unweit Verdun, 22. August 1870.
Hiermit gebe ich Ihnen an, was ich bis jetzt als positiv gewiß mitteilen kann.
Ich habe gezögert, weil tot gesagte Persönlichkeiten mitunter gesund wieder er-