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Unbestritten haben Bundesrat und Reichstag das
Recht der Initiative in der Gesetzgebung. Art. 23 R.-V.,
welcher bestimmt, dass dem Reichstage „das Recht,
Gesetze vorzuschlagen“, nur „innerhalb der Kompetenz
des Reiches“ zusteht, hat nun freilich Anlass gegeben,
das Recht des Reichstages gegenüber dem des Bundes-
rates, für den eine solche Vorschrift fehlt, als beschränkt
anzusehen. Indessen glaube ich, mich mit Rücksicht auf
den Rahmen der gegenwärtigen Erörterung damit be-
gnügen zu dürfen, auf die Ausführungen bei Thudichum, ')
Hänel,?) Seydel,®) Rönne,‘) Kollerd5) und Laband*°) zu
verweisen, die diese Frage mehr oder minder eingehend
behandelt haben.
Hat nun also auch der Kaiser ein dem des
Bundesrates und des Reichstages analoges Recht
der Initiative?
Ausdrücklich finden wir hierauf weder eine bejahende
noch eine verneinende Antwort in der Reichsverfassung.
Wir müssen uns also begnügen, wenn wir. — sei es aus
einzelnen Bestimmungen, sei es auch vielleicht aus dem
Geiste der ganzen Verfassung — eine Vermutung im Sinne
der einen oder der anderen Ansicht begründen können.
Bevor wir indes zu dieser Untersuchung schreiten,
wollen wir uns zunächst die Frage vorlegen:
Hat es überhaupt einen praktischen Wert,
beziehungsweise kann es einen solchen haben,
wenn wir dem Kaiser das Recht der Initiative
auf Grund der Reichsverfassung einräumen oder
versagen?'‘)
1) Thudichum, Die Verf. d. nordd. B. S. 215.
2) Hänel, Studien I. S. 156 ff. 160, 256.
3) Seydel, Kommentar S. 202.
4) von Rönne, Das Staatsr. d. d. R. I. S. 239.
5) Koller, Die Verf. d. d. R. S. 93 ff.
6) Laband, Das Staatsr. d. d. R. II. S. 24 u. eod. Anm. 1.
?) Ich werfe diese Frage, wie es an dieser Stelle freilich scheinen
mag, nicht etwa deshalb auf, um mich vorerst zu vergewissern, ob
meine folgenden Erörterungen auch Anspruch auf praktische Be-
deutung machen können, sondern vielmehr, um Gelegenheit zu
nehmen, den Begründungen derjenigen entgegenzutreten, die den