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Lande überhaupt keine starke Volksmasse gewohnt habe, also das
Eindringen der Fremdlinge auf keinen bedeutenden Widerstand ge—
stoßen sein kann. Die geringen Germanen-Reste, welche von der
Scholle nicht weichen mochten, werden sich den Fremden unter—
geordnet und, da sie in der Kultur diesen nicht überlegen waren,
allmählich mit ihnen verschmolzen haben.
Dieser Urwaldszustand aber und in Verbindung damit die
stark ausgeprägte Freiheitsliebe und Absonderungslust unserer Vor—
fahren ließen zugleich in der Vorzeit ein eng geschlossenes, regel—
mäßiges Zusammenwohnen nicht recht zu, sodaß von irgend welchen
ansehnlichen zusammenhängenden und benannten Ortschaften in der
germanischen Periode innerhalb unseres Landes kaum die Rede sein
kann. Noch viel weniger aber ist die Annahme statthaft, daß aus
noch weiter zurückliegender Zeit von den Kelten, von denen ja fest—
steht, daß sie einst wenigstens im Osten, Süden und Westen Deutsch-
lands gelebt haben, hier die Spuren fester Wohnsitze sich erhalten
hätten, und die mehrfach doch in solchem Sinne geäußerten An-
sichten müssen aufs allerentschiedenste zurückgewiesen werden. Von
der Keltenfrage wird unser Gebiet nicht berührt.
Nichts anderes also fanden die einwandernden Sorben auf
unserem Boden vor als Wald und Feld und Einzelhöfe, zu deren
Herren sie sich nun machten; und nachdem sie einmal festen Fuß
gefaßt hatten, breiteten sie sich innerhalb weniger Menschenalter
stetig vorrückend über das ganze mittlere Elbland aus, während
gleichzeitig im Norden die stammverwandten baltischen Slaven und
im Süden die Tschechen sich weithin seßhaft machten. Bei der ohne
Zweifel bedeutenden Volkszahl der Sorben und ihrer Vorliebe für
den friedlichen Ackerbau nahm die Besiedelung und Bebauung des
Landes raschen Fortgang, und vor allem sind es die fruchtbaren
Thallandschaften der Elbe, Mulde und Saale und ihrer wasser-
reichen Nebenflüsse, wo jene ihre zahllosen kleinen Runddörfer an-
legten und eine rege Lebensthätigkeit und Kulturarbeit zu ent-
wickeln begannen. Zum ersten Male wird mit dem Jahre 623 der
neuen Bewohner unseres Landes gedacht, wo sie als Sclavi cogno-
mento Winidi bezeichnet werden 1). Zu dieser Zeit sind sie in
vollster Arbeit begriffen, immer neue kleine Familiensitze zu gründen
und von den alten Sippendörfern abzuzweigen; aber nach Verlauf
1) Anno X regni Chlotharli homo quidam nomine Samo natione Francus
de pago Sennonago plures secum negotiantes adscivit, ad exercendum
negotium in Sclavos cognomento Winidos perrexit. Fredegar c. 48. Zeuß,
Die Deutschen und die Nachbarstämme S. 637.
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