Begrifi des
Rechtsgeschäfts.
Geschättsfähig-
keit.
92 RUDOLPH SOHM: Bürgerliches Recht.
Vollendung der Vereinsgründung Gnadensache geblieben! Insoweit ist der
Grundsatz der Vereinsfreiheit auch vom bürgerlichen Gesetzbuche noch nicht
durchgeführt worden. Hier ragt noch immer ein Stück vom alten Polizeistaat
in das Privatrecht der Gegenwart hinein. Hier steht unser Privatrecht noch
heute auf dem Standpunkte, als ob die großen politischen und sozialen Be-
wegungen der Gegenwart durch polizeiliche Maßregeln beherrscht oder wenigstens
beeinflußt werden könnten. Es leidet keinen Zweifel, daß auch dieses Stück
altväterischen Hausrats durch künftige Entwickelung beseitigt werden wird.
Unser Privatrecht ist wie die Grundlage so auch ein Spiegelbild unserer
heutigen Kultur. Das gilt insbesondere von diesen Rechtssätzen über die juristi-
sche Persönlichkeit, durch welche die Rechtsgestalt der Verbände des gesell-
schaftlichen Lebens, der großen wie der kleinen, bestimmt wird. In dem Ver-
bandsprivatrecht gelangt die Geschichte des gesamten öffentlichen Rechts,
des Staats, der Gemeinde, der Kirche, zu einem abgekürzten, in wenigen Ge-
setzesparagraphen niedergelegten Ausdruck, und wenn wir die knappen Sätze
des bürgerlichen Gesetzbuchs vom Vereinsprivatrecht lesen, hören wir von
ferne das Brausen der politischen Kämpfe der Gegenwart.
IV. Rechtsgeschäfte. Der Privatperson dient das Privatrecht. Das
ist der Sinn der Rechtssätze von den Rechtsgeschäften.
Es gibt eine Reihe von Fällen, wo ein privatrechtlicher Erfolg unmittelbar
kraft Gesetzes ohne den Willen (so z. B. die Eigentumsersitzung) oder gar gegen
den Willen (so die Schadensersatzpflicht des Diebes) der beteiligten Privat-
person eintritt. Auch durch richterliche Verfügung (so im Falle der Zwangs-
vollstreckung) kann eine Rechtsänderung bewirkt werden. Im Mittelpunkt der
privatrechtlich erheblichen Tatbestände aber steht die Willenserklärung
der Privatperson. Die rechtserhebliche Privatwillenserklärung nennen wir
Rechtsgeschäft. Der rechtsgeschäftlich bezweckte Erfolg, z. B. die Dar-
lehnsschuld, tritt ein, weil der Beteiligte ihn gewollt hat. Das Rechtsgeschäft
ist Ausdruck der privatrechtlichen Herrscherfreiheit der Privatperson. Es ist
zugleich die Unruhe, welche die Welt der privatrechtlichen Rechtsverhältnisse
in ununterbrochener Bewegung hält.
Wer ein Rechtsgeschäft wirksam vornehmen will, muß geschäftsfähig,
d. h. der privatrechtlichen Freiheit fähig sein. Nicht jeder Rechtsfähige ist ge-
schäftsfähig. Vollkommen geschäftsunfähig, d.h. zu jedem Rechtsgeschäft
unfähig, ist das Kind unter sieben Jahren und der Geisteskranke. Beschränkt
geschäftsfähig, d.h. nur zu den Rechtsgeschäften fähig, welche die eigene
Rechtslage lediglich verbessern (z. BB Annahme einer Schenkung), ist der
Minderjährige (unter 21 Jahren) und der wegen Geistesschwäche oder Ver-
schwendung oder Trunksucht Entmündigte. Die Geschäftsunfähigen und die
in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten sind die Unmündigen des bürger-
lichen Gesetzbuchs. Sie sind ihrer eigenen Angelegenheiten nicht mächtig. Sie
können, soweit der Mangel ihrer Geschäftsfähigkeit reicht, durch eigenes
Rechtsgeschäft (eigene Willenserklärung) nicht erwerben, noch sich verpflichten.